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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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schweigen!” entgegnete er fast trotzig. „Was denkt Ihr? Das ich ein Milchkind bin?“
    „Ein einziges Wort, Yvo, kann dir oder deiner Mutter den Kerker einbringen... oder Schlimmeres!”
    „Ich werde schweigen! Ich schwöre es!”
    Jocelin klopfte ihm stumm auf die Schulter und hatte ein elendes Gefühl dabei. Der Junge war sich nicht im Mindesten im Klaren darüber, was dieses Schlimmere bedeutete! Aber vielleicht war das gut so… Er wollte noch etwas sagen, aber seine Mutter scheuchte ihn mit einem neuerlichen „Nun geh schon!“ hinaus.
    Dann beugte sie sich über eine große, mit Kupferbeschlägen verzierte Truhe, die unter dem Fenster stand. Der Duft von Lavendel verbreitete sich im Raum, als sie den Deckel hob. Vor Jocelins erstaunten Augen nahm sie zwei Hemden heraus, ein fein gearbeitetes Lederwams und einen dunkelgrünen Mantel mit sizilianischen Stickereien. Die Sachen hatten ihrem Gemahl gehört. Was sollten sie jetzt noch länger hier liegen und auf den Mottenfraß warten?!
    „Zieht das an, Sire Jocelin. So werdet Ihr den Söldnern weniger verdächtig erscheinen!”
    „Danke...Ah, das ist das Gewand eines Fürsten!” Seine Finger glitten über den weichen Stoff; er hatte noch nie derart kostbare Kleidung besessen…
    “Ghislaine, wie soll ich Euch das je vergelten?“ Es ging ihm nicht um dieses Gewand, um das Geld, das sie ihm gegeben hatte damals für die Reise nach Tours. Aber der Gedanke, dass Floyran seine gierigen Finger an sie gelegt hatte, machte ihn geradezu rasend. Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wich zurück.
    “Ich gehe Euch noch etwas Proviant einpacken“, versprach sie. „Wir treffen uns unten in der Kammer bei Bruder Arnaud!“
    Jocelin schob den Arm unter Arnauds Kopf und versuchte, ihm etwas von der Brühe einzuflößen, die Ghislaine eben gebracht hatte.
    „Ich könnte zum Kloster schicken, dass man einige stärkende Mittel bereitet,” erbot sich die Gräfin, aber Jocelin schüttelte den Kopf.
    „Es sind schon genug Leute, die von unserer Anwesenheit auf La Blanche wissen und Verdacht schöpfen können. Die königlichen Söldner sind noch überall; sie wissen, dass sie einen von uns verwundet haben. Ein unbedachter Hinweis kann sie leicht auf unsere Spur bringen! Und Floyrans Kumpane! Nein, wir müssen noch heute wieder fort!”
    „Aber glaubt Ihr, dass er schon in der Lage ist zu reiten? Jocelin, wartet wenigstens noch einen Tag! So leicht wird man nicht wagen, La Blanche zu durchsuchen!” Vorhin hatte sie sich fast gefürchtet, mit ihm allein zu sein, aber in diesem Moment hätte sie alles darum gegeben, ihn wenigstens noch ein paar Stunden hier zu behalten.
    „Nein, es ist zu gefährlich! Ich will nicht, dass Ihr oder einer Eurer Leute in den Kerker geschleppt werdet!“
    Vorsichtig hob er Arnaud in den Sattel seines Pferdes, stieg dann hinter ihm auf und nahm den Proviantbeutel entgegen, den Ghislaine ihm hinhielt.
    Es widerstrebte ihm, sie so zurückzulassen, nichts für ihre Sicherheit tun zu können, sondern sich im Gegenteil davon machen zu müssen wie ein feiger kleiner Dieb! Er suchte nach Worten, fand aber keine, und schließlich war es Ghislaine, die die Stille brach: „Ich werde jeden Tag beten, Euch gesund wieder zu sehen!“
    „Ihr solltet …vielmehr beten, dass sich unsere Wege nie mehr kreuzen, Madame. Ich habe Euch genug Angst und Leid gebracht! Ich werde ... Buße tun, für alles!“ Jocelin griff die Zügel seines Pferdes und lenkte das Tier zum Tor. Ohne sich noch einmal umzuwenden, verließ er die Burg.  
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    Arnaud lag halb aufgerichtet auf seinem Lager am Eingang der Höhle und wandte sich Jocelin zu, der sich soeben neben ihm niedergelassen hatte. Dem alten Ordensbruder ging es allmählich besser, auch wenn er noch immer recht schwach war. Aber zum Glück hatte sich die Wunde nicht entzündet.
    „Nun, hast du das Pergament und das Schreibzeug, Jocelin?“
    „Ja. Hat ein halbes Vermögen gekostet, aber ich habe es. - Arnaud, damals, als Ihr verwundet wurdet, wolltet Ihr mir etwas erzählen. Etwas, was Euch offenbar sehr wichtig war! Ihr sagtet, bevor Ihr sterbt, müsse ich es wissen!“
    Arnaud schüttelte den Kopf. „Ich kann mich nicht mehr erinnern, was mir da durch den Kopf gegangen ist. Ich war ja nicht recht bei mir. … Bruder Guy sagte mir, dass Floyran tot sei?“
    „Ja. Ist er.“
    „Hast du es getan?“
    „Nein. Ghislaine. Ghislaine hat ihm den Dolch ins Herz gestoßen. Aber ich wünschte, ich hätte es

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