Die Traenen des Mangrovenbaums
einmal nur ein Schlafzimmer. Sie hörte mit Erleichterung, dass er mit Pahti in einem Einspänner des Hotels unterwegs war, um Tietjens auszuführen und einen ersten Blick auf die einheimische Flora zu werfen. Vielleicht, dachte sie hoffnungsvoll, heiterte ihn das wieder auf.
Müde war sie auf jeden Fall, und so ging sie zu Bett und schlief ein, ohne auf seine Rückkehr zu warten.
Als Anna Lisa in der Morgendämmerung erwachte, war sie einen Augenblick lang verwirrt, sich in einem aus Rattan geflochtenen Bett liegen zu sehen anstatt in der gewohnten Kabine an Bord der Anne-Kathrin. Sie hob ihre schweren Lider und blickte sich um. Langsam fiel ihr wieder ein, wo sie war. Sie blickte zur anderen Seite des breiten Bettes hinüber. Simeon schlief. Sein schwerer Atem verriet, dass er entweder getrunken oder von dem Opium genommen hatte, das eigentlich für Notfälle vorgesehen war. Tietjens war nicht da; offenbar machte sie ihren üblichen Morgenspaziergang mit Pahti.
Sie stand leise auf, schlüpfte in ihren Morgenmantel und trat auf die Veranda hinaus. Ein leises Zwitschern war zu hören: In den Bäumen rund um das Hotel hüpften die brillant gefärbten Vögel der Insel von Ast zu Ast. Anna Lisa betrachtete sie mit Entzücken.
Noch lag Stille über der Sundastraße. Nur im Hafen unten zeigten sich, halb vom Morgennebel verhüllt, erste Anzeichen von Leben und Geschäftigkeit. Der Schornstein des plumpen Postdampfers, der über Nacht vor Anker gelegen hatte, begann Rauchwolken auszustoßen. Die junge Frau wäre gerne ein Stück weit spazieren gegangen, aber dazu hätte sie sich anziehen müssen, und sie wollte weder Fräulein Bertram wecken, noch wollte sie sich in die Zwangsjacke europäischer Kleidung quälen. Ihr schauderte bei dem Gedanken, mit eng geschnürtem Mieder, langen Strümpfen und Unterröcken herumzulaufen. Warum konnte man sich nicht einfach so anziehen, wie es dem Klima entsprach? Aber eine Europäerin in einem Sarong und loser Bluse, das hätte natürlich einen Skandal bedeutet, der sie noch jahrelang verfolgt hätte.
Jedenfalls würde sie hier ihr Mieder nicht schnüren, in dem Punkt war sie fest entschlossen.
Ein Seufzer entschlüpfte ihr, als sie durch das Gitterfenster hörte, dass auch Simeon erwachte. Es war immer ein solches Vabanquespiel, in welcher Stimmung sie ihn vorfinden würde. Solange Pahti um ihn war, ging es einigermaßen, aber der führte den Hund aus. Ihr Blick wurde finster, als sie an die Inschrift auf ihrem Verlobungsring dachte: Wie du gibst, so wirst du empfangen. Sie bemühte sich doch wirklich, aber was bekam sie? Einen launischen, reizbaren Gatten, der mit sich selber nicht zurechtkam und keinen anderen Ausweg fand, als sich blutig zu schneiden. Ihr fröstelte bei dem Gedanken an die frischen Schnitte auf seinem Arm.
Dennoch bemühte sie sich, ihn freundlich zu begrüßen, als sie eintrat. Er hatte sichtlich einen schweren Kopf, ob er nun getrunken oder Opium genommen hatte; seine Lider öffneten und schlossen sich ein paarmal, ohne dass er etwas sah. Dann schlug er endlich die Augen auf. »Schon wach, Meisje?«, murmelte er mit belegter Stimme. »Bring mir ein Glas Wasser, ich habe Durst.«
Da Pahti sie bereits eindringlich davor gewarnt hatte, unabgekochtes Wasser zu trinken, brachte sie Simeon von dem Tee, der noch vom Vorabend auf der Anrichte stand. Er trank gierig, dann ließ er sich mit einem schweren Seufzer wieder in die Kissen zurücksinken. Der Blick seiner großen braunen Augen war schuldbewusst. »Es tut mir leid, dass ich gestern so widerwärtig zu dir war.«
»Wir werden schon eine Lösung finden.« Sie setzte sich an den Bettrand neben ihn und legte die flache Hand auf die Decke. Durch das leichte Batiktuch und sein Nachthemd hindurch fühlte sie seine aufkeimende Erregung. Schuldbewusst, wie er war, wagte er nicht, ihre Zärtlichkeit einzufordern, aber seine Blicke flehten sie an, und so streichelte sie sanft seinen Bauch und seine Schenkel. Er stöhnte laut auf. Wie hielt der Mann das nur aus?, dachte sie. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, ständig lüstern zu sein. Um genau zu sein: Sie konnte sich das Gefühl der Lust überhaupt nicht vorstellen. Ihr Körper blieb unbeteiligt, während sie den seinen liebkoste. Sie tat es, weil es ihre eheliche Pflicht war und weil es sie freute, ihn glücklich zu sehen, und weil sie dann damit rechnen konnte, dass er die nächsten Stunden gut gelaunt sein würde.
Tatsächlich lächelte er sie an, als er
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