Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
Vom Netzwerk:
antwortete in gelassenem Ton. »Nein, keineswegs. Ich habe nur Ihren Rat eingeholt, da ich ein Fremder im Land bin und mir auch die Situation als solche ganz neu ist. Ich habe erwartet, hier eine gut funktionierende Plantage unter einem tüchtigen Verwalter vorzufinden, nicht einen Trümmerhaufen und einen Toten.«
    »Verständlich.« Dr. Ascher nickte wohlwollend. »Ja, gewiss, keine einfache Situation.« Er beugte sich weit vor, als wollte er Simeon ins Ohr tuscheln. »Mijnheer, wenn ich Ihre Interessen vertreten soll, müssen Sie mir die ganze Wahrheit sagen. Warum schickt Ihr Vater einen anderen, anstatt einfach Ihnen die Entscheidung zu überlassen?«
    »Dieser andere ist sein unehelicher Sohn. Er ist geschäftlich erfahrener als ich, und es würde mich auch gar nicht kümmern, wenn er die Plantage übernimmt und wieder auf die Beine bringt – aber als mein Verwalter. Meine Stellung und vor allem mein Geld darf er nicht antasten.«
    »Ich verstehe.« Der Anwalt legte die Fingerspitzen zusammen und klopfte damit gegen sein porzellanglatt rasiertes Kinn. »Wir müssen schnell handeln, Mijnheer. Unter den Umständen werde ich kaum erreichen können, dass Sie sofort in Ihre vollen Rechte eingesetzt werden, aber ich werde beantragen, dass der Besitz Ihres Vaters hier vom Gericht verwaltet wird, bis Mijnheer Brägens eingetroffen ist. Gleichzeitig werde ich, da ja auch die Interessen Ihrer Gattin auf dem Spiel stehen, den deutschen Konsul ersuchen, ein Wort mitzureden, damit nicht nur die Holländer allein in der Sache das Sagen haben. Ich werde einen Termin bei ihm vereinbaren.«
    Simeon nickte. »Was heißt das genau? Was wird auf Ihren Antrag hin geschehen?«
    Dr. Ascher erklärte es ihm. »Das Gericht übernimmt fürs Erste praktisch die Stelle des verstorbenen Herrn Wolkins. Es verwaltet auch die auf der Bank liegenden Gelder. Man wird mit Ihnen vereinbaren, welche Summen Ihnen für Ihren Lebensunterhalt hier im Land ausgezahlt werden, bis eine endgültige Regelung vorliegt.«
    Dr. Ascher ließ sich eine Honorarnote und eine Vollmacht unterzeichnen und verabschiedete sich; er wollte auf der Stelle zunächst zur Bank und dann zum Gericht gehen. Anna Lisa merkte ihm an, wie zufrieden er war. Zweifellos wusste er, auf welch dicken Geldsäcken der Kaffeehändler Vanderheyden und der Reeder Lobrecht saßen. Wenn solche Leute in Streit gerieten, fielen immer fette Happen für ihre Advokaten ab.
    Sie folgte ihm in den Korridor des Hotels und holte ihn ein. »Warten Sie noch einen Augenblick, bitte. Ich habe eine Frage an Sie.«
    Er sah überrascht aus, wartete aber höflich ab, was sie ihn fragen wollte.
    Sie reichte ihm die anonyme Nachricht. »Was hat das zu bedeuten? Wissen Sie etwas darüber, warum man uns hier vor Herrn Zeebrugge warnt?«
    Dem Gesicht des Anwalts war anzusehen, dass er es sehr wohl wusste, aber nicht gerne darüber sprach. Er zögerte. Anna Lisa musste ihn drängen, damit er ihr eine Antwort gab. Schließlich rang er sich widerwillig die Worte ab: »Sehen Sie, die Holländer hier sind eine enge gemeenschap . Man hält zusammen. Ob man einander persönlich mag oder nicht, man hält zusammen. Und Mijnheer Zeebrugge hat, um es einmal so auszudrücken, ins eigene Nest gemacht. Die eigenen Leute angeschwärzt.«
    »Angeschwärzt? Warum? Bei wem?«
    Dr. Ascher hob abwehrend die weißen Hände. »Er war in Skandale verwickelt. Nein, nein, nichts Persönliches. Er hat sich einfach zu sehr in anderer Leute Skandale eingemischt. Vieles ans Licht gebracht, das besser verborgen geblieben wäre. Man findet allgemein, dass er sich zu sehr mit den Einheimischen verbrüdert … zu sehr auf ihrer Seite steht. Das führt natürlich dort, wo es Spannungen gibt, zu … eben zu noch mehr Spannungen.«
    »Aber ich verstehe nicht …«
    »Nun …« Der kleine Anwalt war sichtlich hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, seiner reichen Klientin gefällig zu sein, und dem Widerwillen, sich in fremden Ärger einzumischen. Schließlich entschied er sich. »Wissen Sie, was man unter Juden einen Moser nennt?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Ein Moser ist ein Jude, der einen anderen Juden an die Gerichtsbarkeit der Gojim ausliefert. Das Niederträchtigste, was man tun kann. Einen Moser zu töten, ist sogar rechtens, jedenfalls nach gewissen Auslegungen des Talmuds. Und Herr Zeebrugge … nun, er ist ein gojischer Moser.«
    Nach einigem Nachdenken verstand sie. »Er hat seine eigenen Landsleute an die Gerichte

Weitere Kostenlose Bücher