Die Traenen des Mangrovenbaums
ein Bote sei an der Tür … für Madame persönlich.« Ihre Stimme wurde einen Ton schriller. »Aber, oh, gehen Sie nicht hinaus! Es ist ein schrecklicher Mensch, schwarz wie ein Schornsteinfeger und bucklig wie der Teufel …«
»Halt den Mund, dummes Ding, und reich mir meinen Morgenrock.« Madame Lafayette sprang aus dem Bett, als brenne es unter ihr. Dongdo war gekommen mit einer wichtigen Botschaft – das musste heißen, dass Raharjos Männer ihren Auftrag erfüllt hatten und Simeon tot war. Ein heißes Rot stieg in ihre Wangen. Ihre Augen glänzten. Sie sah plötzlich zehn Jahre jünger aus. Da sie sich nicht die Zeit nehmen wollte, ihr Haar zu richten, stülpte sie sich einen mächtigen Turban aus buntem Batiktuch über den Kopf, warf den Morgenmantel um und eilte selbst zur Haustür, während die verschreckte Zofe im Schlafzimmer zurückblieb.
Tatsächlich: Draußen stand Dongdo, ein unbeweglicher schwarzer Schatten im milden Morgenlicht.
»Nun? Ist es getan? Ist das die Nachricht, die du mir bringst?«, fuhr sie ihn an, als er weder grüßte noch Anstalten machte, ins Haus zu treten.
Er antwortete nicht. Stattdessen holte er aus seinem groben erdbraunen Umhang einen Beutel hervor, zog die Schnur auf und leerte ihr die Gulden vor die Füße. Das Klirren der Münzen war noch nicht verklungen, als er sich auch schon umdrehte und wortlos davonschritt.
Sie starrte ihm nach, zu wütend, um ein Wort hervorzubringen. Es brauchte auch keine Fragen. Die Geste war deutlich genug gewesen. Raharjo hatte den Pakt gebrochen. Der verhasste Krüppel lebte immer noch. Und was sollte sie jetzt tun? Ihn mit eigener Hand aus der Welt zu schaffen, das konnte sie nicht wagen. Noch war ihre Klugheit stärker als ihr Hass. In der gemeenschap summte es ohnehin wie in einem Hornissennest. Wenn Simeon jetzt ein Unheil zustieß, würden alle mit Fingern auf sie zeigen. Nein, sie musste einen anderen Weg gehen. Sie brauchte den kleinen braunen Affen nicht. Es gab immer noch genug andere Männer, die zu ihrer persönlichen Verfügung standen.
Im Palast des Generalgouverneurs in Buitenzorg saß der Kontrolleur Mijnheer Pieterzoen van Schujten an seinem Schreibtisch, als ihm der Besuch von Madame Lafayette gemeldet wurde. Der alte Mann hielt beim Schreiben inne. Seine Hand sank auf das Blatt Papier und ruhte dort. Er hob den Kopf und blickte die Wand über dem barock verschnörkelten Zedernholzschreibtisch an, eine mit roter Seide tapezierte Wand, die über und über bedeckt war mit ausgeschnittenen Zeitungsnotizen und Fotografien. Sie alle zeigten ihn in der Blüte seiner Jahre, mit Frack und Zylinder und einer Nelke im Knopfloch, bei Audienzen der Mächtigsten der Erde oder in ausgelassener Laune bei den Bällen und Festen der gemeenschap , als man ihn noch einen sehr attraktiven Mann genannt hatte.
Sein Körper war von Natur aus riesig und durch Alter und Krankheit unförmig geworden, und nur sein Kopf verriet noch, was er einmal gewesen war: einer der Einflussreichsten seines Landes, hofiert und gehasst von seinen Untergebenen, bewundert und gefürchtet von seinesgleichen, mit Neid und Abscheu betrachtet von den kleinen Leuten, von denen die gewaltige Kluft des Hochmuts ihn trennte. Dieser Kopf war merkwürdig widersprüchlich geformt. Die hohe, kühn gewölbte Stirn verriet eine außergewöhnliche Intelligenz, die weit vorspringende Nase Tatkraft, die lebhaften blauen Augen ein waches Interesse an der Welt und ihren Angelegenheiten. Nur der Mund – breit, schlaff und gemein – passte nicht zu diesem Charakterkopf, den ein silberner Haarschweif krönte. Er verlieh dem gesamten Gesicht, seinen edlen Anlagen zum Trotz, starke Ähnlichkeit mit der Physiognomie Alexander VI., des Borgia-Papstes.
Er war Madame Lafayettes Liebhaber gewesen, und ihre geradezu hexenhafte Fähigkeit, seine tiefsten, unausgesprochenen Wünsche zu erahnen und zu erfüllen, hatte ihn an sie gebunden – ihn, den seine Schmeichler einen Renaissance-Menschen nannten, ihn, der nur die Hand auszustrecken brauchte, um mehr Frauen zu haben, als selbst sein gieriger Appetit zu bewältigen vermochte. Er brauchte sie, er war von ihr gebannt; dennoch mochte er sie nicht. Etwas wie Widerwillen überlief ihn, als er sich beim Öffnen der Tür höflich erhob und der Besucherin entgegenging.
»Ma chère Madame!« Er begrüßte sie mit einem Lächeln, geleitete sie zu der weiß und golden gehaltenen Sitzgruppe, wies seinen Diener an, Eiswasser und Genever zu
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