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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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wie die Angst mit einer unbestimmten Kälte im Magen sich bemerkbar machte. Dieses Land, da hatte Dr. Ascher recht, war fremdartig und gefährlich genug, auch ohne dass man sich zusätzliche Feinde auf den Hals lud. Wie ein Magnesiumblitz erhellte ihre Erinnerung plötzlich das Bild des ausgestorbenen Hofes der Familie Gerstenbauer – die hohlen Fenster, die von Unkraut überwucherte Einfahrt, die eingesunkenen Dächer, vor allem aber jene Grabstele mit ihrer schrecklich lakonischen Beschreibung des Unheils, das der deutschen Familie ein Ende gemacht hatte.
    Sie wollte noch eine Frage stellen, aber Dr. Ascher entwand sich ihrem Griff mit schlangenhafter Geschicklichkeit. »Ich kann Ihnen nur sagen, dass diese Nachricht als wohlmeinende Warnung aufgefasst werden kann. Sie brauchen den Herrn ja nicht weiter. Ihre Angelegenheiten sind in kompetenten Händen. Wozu die Holländer reizen?«
    Er huschte davon wie ein Tier, das knapp einer Falle entkommen war.
    Herr Raharjo kam in den nächsten Tagen seinen Pflichten nur sehr nachlässig nach. Eine schreckliche innere Zerrissenheit quälte ihn. Bislang war er überzeugt gewesen, dass nur die Frauen seines eigenen Volkes das Ansehen wert waren, denn die Javaner, vor allem die adeligen, waren nicht weniger stolz als die Europäer. Die Chinesinnen verspottete er im Kreis seiner Freunde als »Bananengesichter«, die Engländerinnen als »Pferde mit langen Nasen«, die großen, breithüftigen deutschen Frauen sähen aus »wie weiße Wasserbüffel«. Nur die zarten Frauen mit der goldbraunen Haut, dem rabenschwarzen Haar und den leuchtenden Mandelaugen waren es wert, dass das Herz eines Mannes ihretwegen klopfte. Und jetzt? Ihm war das Herz stehen geblieben, als er die kleine Frau Vanderheyden da am Tisch sitzen sah, die Wangen gerötet von der Anstrengung des Reitens in der Tropenhitze, das Haar – obwohl ihr braves Dienstmädchen es rasch wieder ordentlich aufgesteckt hatte – ein wenig feucht und wirr vom Herrichten in dem einfachen Waschraum. Ach, der kleine, schwellende Busen in dem strammen Mieder, das niedlich gerundete Hinterteil! Und sie war so zierlich. Das störte ihn am meisten an den weißen Frauen: dass die Mehrzahl von ihnen so groß und plump war. Wasserbüffel eben.
    In dem Augenblick, in dem er sie das erste Mal gesehen hatte, war seine Entscheidung gefallen. Er dachte nicht daran, diesem lieblichen Geschöpf etwas anzutun. Und den Mann musste er ebenfalls laufen lassen, es war ja kaum zu erwarten, dass eine verliebte junge Ehefrau dem Mörder ihres Gatten Zuneigung entgegenbrachte. Dass sie verliebt war, hatte er ihr auf den ersten Blick angemerkt. Ihre Augen hatten jedes Mal aufgeleuchtet, wenn sie von dem Menschen sprach, der – wie Edgar Zeebrugge ihm anvertraut hatte – ein Krüppel und ein Narr war. Herr Raharjo verstand genug von Frauen, um zu wissen, dass weder Gebrechlichkeit noch Dummheit ihrer Liebe ein ernsthaftes Hindernis in den Weg legten. Wenn sie sich einen Mann in den Kopf gesetzt hatten, konnte der auf allen vieren kriechen, und sie liebten ihn wie einen Gott.
    Aber das Problem endete nicht damit, dass er seinen eigenen Anteil an den Mordplänen aufgab. Für die beiden jungen Leute war es gefährlich, in Batavia zu bleiben. Der Weg von der Kota, wo die Französin wohnte, zum Hotel des Indes war kurz. Ihre Plantage stand immer noch unter Quarantäne, und außerdem hatte er den versteckten Schatz, den er dort vermutete, noch nicht gefunden. Wohin also mit ihnen?
    Und Herr Raharjo, der selten um eine Lösung verlegen war, hatte bald eine gefunden. Das Landhaus seines Großvaters in der Nähe von Zeebrugges Gut stand die meiste Zeit leer, das Ehepaar dort aufzunehmen, kostete den Fürsten keine Mühe, und er würde nicht einmal Geld dafür verlangen – es hätte den Fürsten beschämt, sich für eine solche Kleinigkeit bezahlen zu lassen. Die holländischen Behörden würden darin eine Geste freundlichen Entgegenkommens sehen, die ihnen gefiel, und Raharjo selbst konnte weiterhin den Anschein pflegen, dass ihn die Mijnheers in seinem Lande nicht störten. Er würde sich im Auftrag des greisen Fürsten um sie kümmern – in dieser offiziellen Funktion hatte er jederzeit Zutritt zu der lieben kleinen Frau, und wenn der Mann ohnehin ein Schwachkopf war, würde er ihn nicht allzu sehr stören.
    In Madame Lafayettes prunkvollem Haus in der benenstad spähte die Zofe durch den hochgehobenen Bettvorhang herein. »Madame, der Diener sagt,

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