Die Traenen des Mangrovenbaums
Schlag ins Gesicht, dass er zu Boden stürzte und mit blutender Nase betäubt im Gras lag. Sie schlug ein zweites Mal zu, wobei sie mit gellender Stimme rief: »Dieb! Er wollte mich bestehlen!« Aufjaulend raffte der Alte sich hoch und kroch, in seinen Sarong verwickelt, auf allen vieren davon, wobei er eine blutige Spur hinterließ.
Madame Lafayette bestieg ihre Kutsche, ohne ihm noch einen Blick zu widmen. Der Bettler hatte sein Fett weg. Jetzt musste sie sich um Wichtigeres Gedanken machen. Zu den Aufgaben, die sie sich gestellt hatte, war eine weitere hinzugekommen. Nicht nur Simeon und seine deutsche Trine mussten weg, auch diese arrogante braune Ratte, die ihr einen Beutel Gold von seiner schwarzen Missgeburt von einem Diener vor die Füße hatte werfen lassen.
Freilich, einfach würde das nicht sein. Van Schujten wusste jetzt Bescheid, dass sie dem jungen Adeligen übelwollte. Wenn Raharjo also plötzlich und unerwartet starb, würde sie Ärger mit dem Kontrolleur bekommen. Einige schon länger zurückliegende Liebesnächte wogen zu leicht, um den Ärger auszugleichen, den der Mord am Lieblingsenkel eines Adhipati bedeutete. Wo es um ihre politischen und merkantilen Interessen ging, waren Männer wie van Schujten jederzeit bereit, einen Einheimischen wie einen Käfer zu zertreten, aber wegen des persönlichen Grolls einer ehemaligen Geliebten machten sie sich ungern die Hände schmutzig.
Sie würde also sehr scharfsinnig vorgehen müssen, wenn sie sich nicht dem Zorn des Kontrolleurs aussetzen wollte – und, schlimmer noch, dem Zorn von Herrn Raharjos chinesischen Freunden. Der Phantasie asiatischer Folterknechte, die den Tod eines Freundes rächen wollten, war keine Grenzen gesetzt. Das war hinreichend bekannt. Sie wollte weder mit dünnen Bambusstöcken zu Tode gepeitscht noch kopfunter in einer wassergefüllten Tonne hängend ertränkt werden, und schon gar nicht wollte sie auf einem einsamen nächtlichen Feld von vier Wasserbüffeln, die langsam auseinanderstrebten, in Stücke gerissen werden. Die Leichen von Leuten, die sich Chinesen zu Feinden gemacht hatten, sahen oft sehr … nun, bemerkenswert aus, wenn man sie aus den Grachten zog.
Mijnheer van Schujten war jedoch nicht so völlig untätig, wie Madame Lafayette befürchtete. Er war nur ein sehr diplomatischer Mann, der es verstand, Nein zu sagen und Ja zu tun. Nachdem er die Französin losgeworden war, beorderte er einen seiner Beamten zu sich, einen Polizeiagenten namens Jasper Kranewitter.
Dieser, ein Mann in den frühen Fünfzigern, war ein untersetzter, kurzbeiniger Mann von gleichmäßig graubrauner Farbe. Sein breites Gesicht hatte den bleiernen Farbton, den durchwachte Nächte und eine schlechte Verdauung hervorrufen. Sein Haar, das unordentlich und borstig über einer von Falten durchzogenen Stirn aufstand, und sein Schnauzbart waren graubraun.
Kranewitter war ein Arbeitstier. Gleichzeitig war er ein Mann von außergewöhnlich scharfem Verstand und einer Hingabe an seine Arbeit, wie man sie keineswegs bei allen Kollegen fand.
Van Schujten hatte volles Vertrauen zu ihm. Er legte die Karten offen auf den Tisch. Nur die Tatsache, dass Madame Lafayette sich an ihn gewandt hatte, weil sie einmal eine stürmische – und ehebrecherische – Beziehung unterhalten hatten, verschwieg er; das hatte schließlich mit dem Fall Raharjo nichts zu tun.
»Der Junge wird langsam lästig«, sagte er. »Und außerdem passt es mir nicht, dass immer mehr Leute ihn als Messias ansehen. Ich will ihn aus dem Weg haben. Aber es darf keinen Ärger geben. Sie verstehen. Wenn wir uns die Hände schmutzig machen, würde sogar ein seniler Trottel wie der Adhipati rebellieren. Wir müssen ihn loswerden, ohne offiziell in Erscheinung zu treten. Ein eleganter Abgang.«
Kranewitter lächelte dünn. »Für elegante Abgänge ist die Dame, die eben hier vorgesprochen hat, aber eher zuständig als ich. Soviel ich weiß, sagt man ihr nach, man möchte gerne mit ihr schlafen, aber nur ungern mit ihr frühstücken.«
»Sparen Sie sich Ihr dummes Gewäsch!«, schnauzte ihn der Kontrolleur an, der genau aus diesem Grund seine innige Beziehung zu der Französin abgebrochen hatte. Ihr Drängen darauf, in seinem Testament bedacht zu werden, war ihm unheimlich geworden. »Kümmern Sie sich lieber darum, wie Sie meinen Auftrag erfüllen. Wenn Sie nämlich Mist bauen, sind Sie dran, nicht ich.«
Kranewitter nahm die Warnung gleichmütig hin. Van Schujten hätte ihn nicht
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