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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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eng an seine Schulter, wie es die gute Sitte in einem offenen Wagen erlaubte. Er genoss die Nähe, die sie ihn fühlen ließ; er lächelte sie an und erwiderte ihr Anschmiegen mit einem zärtlichen Druck seiner kalten Finger.
    Ihr ständig schwelendes schlechtes Gewissen trieb sie, ihm so oft wie möglich ihre Ergebenheit und Zuneigung zu beweisen. Sie schämte sich, dass sein Körper ihr nur als Vorwand diente für die Leidenschaft, die ein anderer in ihr erweckt hatte, und suchte diese Verfehlung gutzumachen, indem sie fast aufdringlich ihre Gattenliebe zur Schau stellte.
    Sie querten eine der Zugbrücken und folgten einer von Bäumen gesäumten Straße, die zwischen den hohen Häusern im Schatten lag.
    »Wie seltsam hier alles ist!«, rief Anna Lisa aus.
    Tatsächlich waren sie von einem Augenblick auf den anderen in eine fremde Welt geraten. Kleine, grellbunt bemalte Häuschen standen hier dicht nebeneinander im Schatten hochgewachsener Palmen und blühender Tamarinden. Es wimmelte von Menschen, die allen möglichen Beschäftigungen nachgingen, wobei das Kochen eine ihrer Lieblingsbeschäftigung zu sein schien, denn überall drängten sich Karren, die eigentlich kleine fliegende Küchen darstellten, und ein atemberaubender Duft stieg aus den brodelnden Töpfen darauf in die Höhe.
    »Oh, wie gut das riecht!«, rief sie aus. »Es läuft einem das Wasser im Mund zusammen!«
    Der Kutscher, der ihre Worte gehört hatte, rief über die Schulter zurück: »Essen Sie bloß niemals etwas, das aus diesen Küchen stammt, Mevrouw! Sie könnten leicht krank werden. Das Wasser, mit dem die Suppe gekocht wird, ist schmutzig, und was man Ihnen als Rindfleisch serviert, ist wahrscheinlich gebratene Ratte. Bei den Chinesen landet alles im Kochtopf, was nicht schnell genug wegrennt.«
    Die Kutsche rollte durch enge, geschäftige Straßen, vorbei an Läden, in denen Devotionalien eines für Anna Lisa ganz fremden Glaubens verkauft wurden: gold lackierte Hausaltäre, Götterfiguren und Räucherstäbchen. Dann bog die Kutsche in eine so schmale Gasse ab, dass die Räder links und rechts an den Randsteinen entlangscharrten, wenn der Kutscher nicht vorsichtig war, und hielt urplötzlich vor einer braunen Mauer an. Ein offener Torbogen gab den Blick frei in einen Hof, in dem unter geteerten hölzernen Schutzdächern unzählige mit Leder und Wachstuch bezogene Kisten und Säcke gestapelt lagen. Ein so überwältigendes Aroma drang heraus, dass Anna Lisa niesen musste.
    Simeon schien es sehr wichtig zu sein, dass der Kräuterfachmann ihn als einen Herrn von Stand schätzte, denn er stieg nicht aus, sondern schickte stattdessen Pahti – der einen etwas zögerlichen Eindruck machte – mit seiner Karte hinein. Mit einigen kurzen Worten stellte er sich darauf als Botaniker vor.
    Herr Liao zeigte sich sehr entgegenkommend. Er schickte seinen Diener, der die Kutsche in den Hof geleitete, dann erschien er selbst. Anna Lisa fand, dass er bemerkenswerte Ähnlichkeit mit seinen Wurzelprodukten hatte: In einen schwarzen, reich bestickten Kaftan aus Damast gehüllt, ein Käppchen mit Goldbordüren auf dem Kopf, empfing sie ein zwergenhafter, gelbgesichtiger Mann von unbestimmbarem Alter. Sein langer Zopf und das Ziegenbärtchen glänzten so lackschwarz, dass sie nur gefärbt sein konnten. Seine Hände waren, wie seine ganze Erscheinung, sehr gepflegt, aber fleckig vom Saft der unterschiedlichsten Pflanzen, die starken, krummen Nägel braun wie Muskatnuss. Als er sah, dass Simeon behindert war, rief er sofort zwei Diener herbei, die dem Besucher beim Absteigen aus der Kutsche halfen und ihn stützten, als Herr Liao ihn in den eigentlichen Laden führte. Pahti wieselte hintennach, sichtlich eifersüchtig, dass Fremde sich in sein ureigenes Gebiet mischten. Anna Lisa mit ihrer Zofe folgte unsicher.
    Der Laden bot einen höchst bemerkenswerten Anblick. Er war lang und schmal, im zweiten Drittel durch einen Perlenvorhang geteilt, hinter dem sich ein Behandlungsraum mit mehreren Liegen und Zubern befand. Beißender Geruch strömte von den Tabakblättern, die in Büscheln von den Deckenbalken hingen, und den ebenfalls gedörrten Tieren, Fröschen, Schlangen, Eidechsen, die dazwischen baumelten. In den Ecken des Gewölbes lagen und lehnten, alle sorgfältig mit chinesischen Lettern beschriftet, mit Affenleder bezogene Kisten und verschnürte Bündel von exotischen Hölzern, Harzen, Wurzeln, Früchten, Blättern. Auf einem Regal aus Ebenholz drängten

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