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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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den Leuten viel stärker, als die Holländer begreifen, und es wird nicht mehr lange dauern, bis es wieder einen Freiheitskrieg gibt.«
    Der Gedanke daran machte Anna Lisa Angst. Sie hatte niemand etwas zuleide getan, und doch würde sie in ihrer zukünftigen Heimat eine der verhassten Fremden sein. Der Gedanke bedrückte sie derart, dass ihr das Essen kaum schmecken wollte.
    Glücklicherweise bemerkte Dr. Semmelbrod ihren Verdruss und zeigte genug Diplomatie, dass er auf sein zweites Lieblingsthema umschwenkte: die spiritistische Religion. Von da an aß Anna Lisa ihr Mittagessen zur Begleitmusik wunderbarer Erscheinungen, sensationeller Durchsagen aus dem Jenseits und Berichten vom seligen Sommerland jenseits des Schleiers, und obwohl sie nicht viel damit anzufangen wusste, war es ihr jedenfalls lieber als die schreckliche Geschichte und die bedrückende Gegenwart des Landes, in das sie reiste.
    Allmählich wechselte die Anne-Kathrin den Kurs in Richtung Amsterdam und legte schließlich im Hafen von Simeon Vanderheydens Vaterstadt an. Anna Lisa stand an der Reling und bestaunte die unzähligen Schiffe, viele von ganz fremdartiger Gestalt, die dort an der flachen Küste vor Anker lagen. Dann sah sie plötzlich überrascht auf. Ein Steward war an sie herangetreten mit der Meldung: »Ein Herr ist an Bord gekommen, der Mijnheer Vanderheyden kurz in einer sehr dringenden und wichtigen Sache sprechen möchte. Da ich weiß, dass Ihr Gatte …« Er vollendete den Satz nicht, aber gemeint war wohl: … ohnehin nicht ansprechbar ist, wende ich mich an Sie.
    »Schicken Sie den Herrn zu mir.« Anna Lisa konnte sich nicht vorstellen, wer sie hier in Amsterdam in einer dringenden Sache sprechen wollte. Der alte Bartimäus war, soviel sie wusste, noch in Hamburg, wo er einige weitreichende Geschäfte vorbereitete. Vielleicht irgendjemand von Simeons Verwandtschaft?
    Aber da war der Steward schon wieder zurück. Ihm folgte auf den Fersen ein kurzbeiniger junger Mann in einem Kutschermantel. Er trug keinen Hut, der feuchte Wind zerwühlte sein Haar und sträubte es in grotesken Zipfeln in die Höhe, sodass er etwas Gnomenhaftes an sich hatte. Dennoch wirkte er nicht im Geringsten lächerlich. Sein Gesicht war gerötet, seine Augen blitzten; ihm war anzusehen, dass ihn eine wichtige Sache beschäftigte. Ohne zu grüßen, stieß er hervor: »Ich muss meinen Bruder sprechen. – Ich bin übrigens Godfrid Brägens. Gehen Sie zu ihm, sagen Sie ihm, die Zeit ist knapp und es ist wichtig – lebenswichtig vielleicht.«
    »Dann sagen Sie es besser mir. Simeon hatte einen Unfall, er nimmt viel Opium gegen seine Schmerzen und schläft …«
    Der Besucher schlug ungeduldig mit der Hand durch die Luft. »Dann hören eben Sie mir zu.« Der Blick seiner kalten, blauen Augen richtete sich mit einer Intensität auf sie, bei der es ihr fröstelnd über den Rücken lief. Er strömte Kraft aus, eine beunruhigende und verwirrende Kraft. Gleichzeitig erschien er ihr selbst beunruhigt und verwirrt, als sei er mit sich selbst nicht darüber im Reinen, was er da eigentlich tat.
    Sie nickte nur stumm und sah ihn aufmerksam lauschend an.
    »Wenn Sie nach Batavia kommen«, sagte er mit einer tiefen, rauen Stimme, die wie ein beschädigtes Instrument klang, »werden Sie dort möglicherweise von einer Frau namens Delphine Lafayette aufgesucht werden. So nennt sie sich jetzt wieder mit ihrem Mädchennamen. Sie ist meine Mutter – Bartimäus Vanderheydens ehemalige Geliebte. Hüten Sie sich vor ihr. Sie wird versuchen, Simeon und wahrscheinlich auch Sie zu töten.«
    Wäre nicht die Kraft seiner Persönlichkeit gewesen, so hätte sie ihn angesichts dieser wirren Worte für einen Narren gehalten, aber sein Blick war klar, seine Stimme fest. Also unterbrach sie ihn nicht, sondern lauschte weiter.
    »Ich warne Sie«, fuhr er fort, »weil ich keine Lust habe, wegen ihrer Umtriebe gehängt zu werden. Ich wasche meine Hände in Unschuld, was ihre Pläne angeht. Was sie genau vorhat, weiß ich nicht, aber ich kenne sie gut genug, um ihre Drohungen ernst zu nehmen. Sie verliert zusehends den Verstand, und eine ihrer Wahnideen besteht darin, ich würde meinen rechtmäßigen Platz in der Firma Vanderheyden einnehmen können, sobald Simeon tot ist – er und die Frau, die meinem Vater einen Enkel schenken könnte. Sie ist eine absolut gewissenlose Frau, die sich keinen Pfifferling darum schert, ob sie einen Mord begeht, wenn sie nur hoffen kann, dabei ungestraft zu

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