Die Traenen des Mangrovenbaums
bleiben. Vielleicht wird sie es selbst versuchen, vielleicht durch die Hand irgendeines gedungenen Schurken, von denen es ja in Batavia nur so wimmelt.«
Anna Lisa wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Haben Sie verstanden?«, fuhr er sie an. »Können Sie Simeon wiederholen, was ich Ihnen gesagt habe?«
»Gewiss doch, ich bin ja nicht blöde.«
»Dann sehen Sie zu, dass dieser Träumer auch begreift, was man ihm sagt, sonst kann er sich seine Blümchen bald einmal von unten ansehen. Sie dürfen mir glauben, ich spaße nicht.«
»Das habe ich keinen Augenblick angenommen.« Anna Lisa spürte, wie sie zu frösteln begann. War es der feuchtkalte Wind, der durch den Wald von Masten und Schornsteinen blies? War es die Vorahnung einer lauernden Gefahr? Oder war es der junge Mann, der vor ihr stand, zerrissen von dem Zwiespalt, seine eigene Mutter anzuklagen oder Mitwisser eines geplanten Mordes zu werden? Gewiss, ihm war das Hemd näher als der Rock, er wollte einfach nicht hineingezogen werden in derart mörderische und zugleich wahnwitzige Pläne, aber leicht fiel es ihm nicht, die Täterin zu denunzieren, das sah sie ihm an. Simeon hatte seine Mutter leidenschaftlich geliebt – vielleicht liebte auch sein Bruder die seine.
»Jedenfalls«, sagte sie mit gezwungen fester Stimme, »danke ich Ihnen von Herzen für Ihre Warnung, die auszusprechen Ihnen sicher nicht leichtgefallen ist. Ein Verbrechen …«
»… das vielleicht niemals begangen wird«, unterbrach er sie heftig. »Niemals! Es mag alles nur Phantasterei sein, ein Ausfluss der Drogen, denen sie zugeneigt ist, und des giftigen Absinth … Aber ich kenne sie, ich kenne sie! Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, das lässt sie nicht mehr los. Und sie hat seltsame Freunde unter den Schurken der Stadt, Halsabschneider, für die ein Menschenleben noch viel weniger zählt als für sie selbst …« Er warf den Kopf, dann den ganzen Körper zurück, als müsste er sich mit Gewalt aus einem unsichtbaren Spinnennetz losreißen. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was zu sagen ist. Ich werde ihr schreiben, dass Sie gewarnt sind. Vielleicht ernüchtert sie das.«
Mit einer eckigen Bewegung verneigte er sich vor ihr. »Auf Wiedersehen, Mevrouw Anna Lisa. Mein Bruder hat eine sehr schöne und liebenswerte Frau geheiratet.«
Mit diesem unerwarteten Nachsatz wandte er sich abrupt um und stürmte davon, wie er gekommen war, vorbei am Zahlmeister, das Fallreep hinunter. Gleich darauf war er in der Menschenmenge am Kai verschwunden.
Anna Lisa wickelte den Mantel eng um sich. Jetzt, wo der seltsame Warner sich entfernt hatte, erschien ihr die Begegnung wie ein Traumgebilde. Wäre da nicht der Steward gewesen, der in einiger Entfernung stehen geblieben war, außer Hörweite, aber mit neugierigen Blicken das kurze Beisammensein verfolgend, so hätte sie vielleicht geglaubt zu träumen. Mit einer ruckartigen Bewegung versuchte sie, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie musste zu Simeon, musste ihm erzählen, was geschehen war, und die Warnung weitertragen.
Aber als sie dann die Kabine erreichte, fand sie ihren Mann tief schlafend vor. Pahti vertraute ihr flüsternd an, dass er sich sehr elend gefühlt und mehr als gewöhnlich von dem Opium genommen hatte. Erst war ihm übel geworden, dann war er in einen bleiern betäubten Schlaf gefallen. Es war sinnlos, ihn jetzt wecken zu wollen.
Fast war sie erleichtert darüber, dass die Umstände sie auf diese Weise hinderten, mit ihm zu sprechen. War denn nicht noch Zeit genug, bis sie Batavia erreichten? Bis dahin waren sie in Sicherheit an Bord der vertrauten Anne-Kathrin. Es war unnötig, dass sie ihrem Mann Sorgen machte, er neigte ohnehin dazu, sich die Welt schwarz zu malen.
Sie erzählte ihm nichts von Godfrids Besuch, weder an diesem Abend noch später.
Überall, wo das Schiff anlegte, gingen reiche Passagiere, aber auch viele Auswanderer an Bord. Wie Lastesel mit schäbigen Koffern, Stoffbündeln und umschnürten Taschen beladen, hasteten Scharen ärmlich gekleideter Menschen nervös zur Einschiffungshalle. Immer wieder gab es ein heilloses Gewühl, denn manche verloren in dem Durcheinander ihre Gepäckstücke, bückten sich, um sie wiederzufinden, wurden von den Nächstkommenden angerempelt, und nur das Dazwischentreten der Matrosen verhinderte eine Schlägerei. Die Leute kletterten förmlich übereinander, so eilig hatten sie es, an Bord zu gelangen. Da sie die deutschen Kommandos zumeist nicht verstanden,
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