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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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bis in alle Ewigkeit sich verästelnder Moment – der Tag, an dem Mommy (und was sie später sein würde: Grammy) von einer Biene gestochen wurde und der lustige, im Ausland geborene Grampa ihr geistesgegenwärtig das Leben rettete. Les war so eifersüchtig, dass er sich vornüberbeugte, als hätte er Magenkrämpfe. Wäre er, der bezaubernde, verträumte Les, da gewesen und nicht der mürrische, praktisch denkende Gregor, hätte ihre Notlage eine ganz andere Poesie bekommen und für immer behalten, eine ihr gemäßere, die eher einer verurteilten Sommerliebe entsprach. Denn was übertraf an majestätischer Intimität sogar noch die Sexualität, wenn nicht der Tod? Er stellte sich, geborgen in seinen Armen, ihr regloses Profil vor, grau, weil der Kreislauf zusammengebrochen war.
    Veronica hatte ein Lieblingssommerkleid, mit einem Ballerina-Ausschnitt und dreiviertellangen Ärmeln, orangefarben, ein Orange, das durch Verknoten des Stoffs beim Färben unregelmäßig ins Gewebe eingedrungen war. Es war eine Farbe, an der die wenigsten Frauen Gefallen finden würden, aber es brachte den kühnen Schimmer ihrer langen glatten Haare zur Geltung und das Grün ihrer Augen. Wenn Les an ihrer beider Affäre zurückdachte, war ihm, als blinzele er durch einen Schwall dieser Farbe, obgleich es nicht mehr Sommer war, als sie sich trennten, sondern September, das Gras auf den Wiesen schoss in Samen, und die Luft war erfüllt vom Lärm der Zikaden. Veronicas Augen waren feucht, und ihre Unterlippe zitterte, während sie zuhörte, wie er ihr erklärte, dass er es einfach nicht fertigbringe, Lisazu verlassen und die Kinder, die fast noch Kleinkinder waren, und sie sollten ihre Beziehung beenden, solange sie noch geheim war und bevor alles hässlich wurde und ihr Leben, seines, ihres und das der andern, in Scherben lag. Unter Tränen taxierte sie ihn und entschied, dass er sie nicht genügend liebe, um sie vor Gregor zu retten. Er war nicht frei genug, so drückte er es lieber aus. Sie weinten zusammen – seine Tränen hinterließen eine schimmernde Spur auf der Haut ihrer Schulter im weiten Oval des Ausschnitts – und kamen überein, dass niemand außer ihnen je etwas wissen sollte.
    Und doch, während des Herbstes und des Winters und noch im nächsten Sommer fühlte er sich betrogen durch dieses Geheimnis; ihre Affäre war etwas so Wunderbares gewesen, dass alle es wissen sollten. Er versuchte, ihre Aufmerksamkeit wieder anzufachen. Sie ignorierte seine sehnsüchtigen Blicke und rügte seine ungeschickten Versuche, sie aus einer Gruppe von Leuten herauszulösen.
    Ihre grünen Augen funkelten unter den gerunzelten langen rötlichen Brauen. «Les, Lieber», sagte sie, als er sie einmal spät auf einer Party in die Ecke gedrängt hatte, «hast du je den Ausdruck gehört: ‹Scheiß oder geh runter vom Topf›?»
    «Nun, jetzt habe ich ihn gehört», sagte er, schockiert und beleidigt. Lisa hätte nie so etwas gesagt, so wenig sie je ein derart billiges, ungleichmäßig gefärbtes orangerotes Kleid getragen hätte.

    Seine geheimgehaltene Affäre schwelte in ihm wie eine unbehandelte Infektion, und während die Jahre vorüberzogen, schien es, dass auch Veronica darunter litt; sie schien sich von dem Stich der Biene nie richtig erholt zu haben. Gewichtsverlust,der sie hager und flechsig aussehen ließ, wechselte ab mit Perioden des Übergewichts und der Verquollenheit. Es gab kurze Aufenthalte im örtlichen Krankenhaus, aus denen Gregor ein eisernes Geheimnis machte, und Zeiten, da Veronica, im Haus verborgen, unter Beschwerden litt, die zu benennen ihr Mann, der allein auf Partys ging, sich weigerte. Les, in seiner trägen, romantischen Art, malte sich aus, dass sie Gregor in einer Anwandlung verräterischer Schwäche die Affäre gebeichtet hatte und nun von ihm gefangen gehalten wurde. Oder aber die Trauer, Les verloren zu haben, nagte an ihrer zarten Konstitution. Ihre Schönheit litt nicht sehr unter ihrer Zerbrechlichkeit, gewann ihr aber eine neue Dimension ab, ein geisthaftes Glühen, eine schmerzliche Intensität. Nach Jahren des Sonnenbadens – alle Frauen taten das damals – entwickelte Veronica Phototoxizität und ging den ganzen Sommer nicht mehr in die Sonne. Als sie Ende dreißig war, machten die Zähne ihr Kummer, und die Fachärzte für Kieferorthopädie und Wurzelbehandlung, die sie regelmäßig aufsuchte, hatten ihre Praxen in der nahegelegenen mittelgroßen Stadt, in einem hohen Gebäude gegenüber dem, in welchem

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