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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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drängelten die Scheinwerfer hinter ihm erbarmungslos, und die, die ihm entgegenkamen, waren von den irritierenden Halos der Lichtbrechung umgeben. Er war an der Straßennummer abgebogen, die das Mädchen an der Hotelrezeption ihm aufgeschrieben hatte, aber vielleicht in der falschen Richtung. Namenlose Fabriken und Lagertanks ragten auf der einen Seite auf, Förderbänder und skelettartige Treppen waren in Umrissen erkennbar, auf der anderen Seite machte nach zwei, drei Meilen ein Restaurant in einem alten Kalksteinhaus mit einem diskreten weißen Schild auf sich aufmerksam, und eine Driving-Range und ein Minigolfplatz, den Winter über geschlossen, wirbelten an ihm vorbei. Nichts von alledem war wirklich unvertraut – vor einer Ewigkeit, so schien es ihm, hatten er und ein paar ausgelassene Freunde auf diesen Miniatur-Fairways gespielt und fröhlich kleine weiße Bälle durch Windmühlen und Tunnel geschlagen – aber nichts sagte ihm, wo er wirklich war. Er wurde bestraft: er hatte während seiner prägenden Jahre hier gelebt und es verächtlich abgelehnt, sich um die Geographie dieses County zu kümmern, kannte nur die Gegenden, die unmittelbar mit seinem Ego und seinen Bedürfnissen zu tun hatten. Aus Rache zeigte die Region sich ihm jetzt als formloses, schattenhaftes Labyrinth, das er in gefährlicher Geschwindigkeit durcheilte.
    Dann erklärte ein wischender Scheinwerferkegel direkt vor ihm, dass er sich am Flughafen von Alton befand. Es wurden höchstens noch zwei, drei Flüge am Tag abgefertigt, trotzdem brannten die hellen Lichter. Aber ihm schien, wenn er an die flüchtigen Angaben der magentagefärbten Hotelangestellten dachte, dass der Flugplatz auf der falschenSeite des Highways war. Kern brach der Schweiß aus. Er würde nie ankommen. Die Umgebung des Highways ging mählich in Landschaft über – ferne vereinzelte Wohnhausfenster, dunkle niedrige Lager für Auslegeware und Autozubehör. Er hätte schreien mögen. Er musste urinieren. Schließlich tauchte die Helle einer Getty-Tankstelle kombiniert mit einem 7-Eleven auf. Die teigige Frau hinter dem Tresen – der einzige Wächter in einem Meer von Dunkelheit, mit nickelgerahmter Großmutterbrille – schien Angst vor ihm zu haben, ihrem einzigen Kunden. Er sah, als schaue er durch ihre misstrauischen ovalen Brillengläser, seinen gehetzten Gesichtsausdruck, den zerknautschten Burberry, den Schlips in kalifornischem Stil bunt gemustert mit Poinciana-Blüten. Als er ihr erklärte, wohin er wolle und dass er nicht wisse, wo er sei, wurde ihr Gesicht hart. Es schien sie zu kränken, dass er sich derart weit verirrt hatte. «Fahren Sie die Strecke zurück, die Sie hergekommen sind», sagte sie. «Es ist hinter dem Flughafen. Sie sind dran vorbeigefahren.»
    «Wie weit hinter dem Flughafen?»
    «Ach – eine Meile oder so.»
    «Auf der rechten oder der linken Seite?» Diese Pennsylvania-Leute, schoss es ihm durch den Kopf, wollten nicht, dass es Leuten aus anderen Staaten hier zu gut gefiel.
    «Auf der linken.»
    «Ist da ein Schild oder so was?»
    Die Frau dachte darüber nach, hörte aber nicht auf, ihn zu taxieren, und hatte eine Hand außer Sicht unter dem Ladentisch, wahrscheinlich auf dem Knopf, mit dem sie die Polizei holen konnte. «Sie werden’s schon finden», versprach sie grimmig. «Es sind zwei große Torpfosten da.»
    Und zehn Minuten später sah Kern, ziemlich undeutlich,die beiden Torpfosten auf der anderen Straßenseite. Sie hätten Gespenster sein können – geisterhafte Erscheinungen zwischen Schlägen der Scheibenwischer –, aber zwischen diesen Pfosten lag seine einzige Hoffnung auf Zuflucht. Es war die schlimmste Art von Highway, ein zweispuriger, der gern dreispurig wäre. Der Verkehrsstrom hinter ihm und der, welcher auf ihn zukam, beide sahen endlos aus; er bremste mitten auf der Straße, und als die Scheinwerfer von anhaltenden Autos sich in seinem Rückspiegel ansammelten, holte er tief Luft und schwenkte auf die entgegengesetzte Fahrbahn. Das erste auf ihn zukommende Auto löste mit der Hupe einen langen lauten Proteststurm aus, bremste aber kräftig genug, um den Frontalzusammenstoß zu vermeiden, den zu begrüßen Kerns altes Herz einen Sprung gemacht hatte.

    Er war drinnen. Auf einem winzigen Schild in einem blumenlosen Blumenbeet stand der Name des Clubs. Eine Kastanienallee leitete ihn zwischen zwei dunklen Flächen – Golfplatz-Fairways, vermutete er. Das Clubhaus tauchte ungleichmäßig beleuchtet vor ihm auf.

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