Die Träume der Libussa (German Edition)
hörte selbst den Zweifel aus ihren eigenen Worten heraus.
Radka war auf
dem Stuhl zusammengesackt und verbarg ihr Gesicht hinter den kräftigen Händen.
Diese sonst so entschlossene Fürstin so niedergeschlagen zu sehen, ließ Libussa
in ein dunkles Loch fallen.
„All unsere
Fürsten und Krieger sind weg. Auch die jungen, kräftigen Bauern sind Kroks und
vor allem Premysls Aufruf gefolgt und in den Kampf gezogen. Wenn uns jetzt ein
anderes Volk überfällt, die Mähren zum Beispiel, dann sind wir verloren“,
murmelte Radka.
„Wir werden
trotzdem kämpfen“, meinte Libussa. Auf einmal weckte Radkas Hoffnungslosigkeit
wieder ihre Lebensgeister. „Die Frauen werden zu den Waffen greifen, wie immer,
wenn die Männer nicht zugegen sind oder es allein nicht schaffen. Du selbst
bist eine hervorragende Kriegerin.“
Radka nickte.
„Das bin ich. Und du bist auch nicht schlecht, obwohl es dir an Übung fehlt.
Aber wie soll eine schwangere, von Übelkeit geplagte Irina kämpfen? Und sie ist
nicht die einzige Frau in dieser Lage. Hostivit von den Zlicany hat seiner
Schwester Drahomira das Kriegshandwerk nicht einmal beigebracht. Unsere besten
Kriegerinnen wie Thetka und Vlasta sind mit in den Kampf gezogen. Ohne die
Männer schaffen wir es nicht, ein feindliches Heer zu besiegen.“
Libussa hatte
das Gefühl, eine eiskalte Hand an ihrer Kehle zu spüren. „Es ist nicht gesagt,
dass es zu einem Angriff auf uns kommt. Du siehst Gespenster, Radka.“
„Schon
möglich“, erwiderte die Lukaner-Fürstin. „Aber warum hat Krok nicht an eine
solche Gefahr gedacht? Er ist sonst doch so weise und umsichtig!“
„Onkel Krok
träumt von der Vereinigung aller Völker, die dem alten Glauben anhängen. Dieses
Ziel hatte er vor Augen, als er den Sachsen helfen wollte. Ich glaube, er geht
davon aus, dass sie uns zusammen mit den Polanen, Wilzen und Aborditen
unterstützen, falls ein Feind über uns herfällt“, mischte sich Kazi unerwartet
ins Gespräch. Bisher hatte sie sich nie um Kriege und Verhandlungen mit anderen
Völkern gekümmert, doch nun wurde klar, dass sie bei den Versammlungen trotz
ihrer geistesabwesenden Miene sehr wohl zugehört hatte.
Radka holte tief Luft und
berichtete dann mit gepresster Stimme: „Eine meiner Mägde unterhielt sich
neulich mit einem fahrenden Händler. Er hat Abgesandte des Frankenkönigs bei
den Aborditen gesehen.“
„Das muss
nichts bedeuten“, erwiderte Libussa beschwichtigend.
„Aber es könnte
bedeuten, dass der Frankenkönig mit den Aborditen verhandeln wollte. Dass er
ihnen Angebote gemacht hat, um sie auf seine Seite zu ziehen. Ist es denn
überhaupt sicher, dass Dragoweill von den Wilzen tatsächlich, wie er behauptet,
mit den Aborditen Frieden geschlossen hat?“
Wieder tat sich zu Libussas Füßen
ein Abgrund auf. Sie krallte ihre Hände um die Tischkante und entschied: „Ich
möchte zum Berg der Göttin gehen.“ Sie hatte schon länger darüber nachgedacht,
doch nun stand ihr Entschluss fest.
„Deine
Freundin, die keltische Priesterin, ist tot“, entgegnete Kazi. „Es gibt wohl
eine Nachfolgerin, aber kennst du sie denn gut genug?“
Libussa
schüttelte den Kopf. „Ich bin kaum noch dort gewesen in den letzten Jahren.
Aber die alte Priesterin meinte, ich hätte seherische Fähigkeiten. Manchmal
überkommen mich Ahnungen und Visionen, doch immer völlig unerwartet. Bevor ich
zur Fürstin ernannt wurde, da wollte die Keltin mich lehren, wie ich sie nach
meinem eigenen Willen lenken und bewusst heraufbeschwören kann. Leider kam es
dann nicht mehr dazu. Aber oben auf dem Berg gibt es eine Quelle. Die
Priesterin blickte hinein, um die Zukunft zu sehen oder auch Ereignisse, die an
anderen Orten stattfanden. Ich möchte wissen, wie es um unsere Krieger bei den
Sachsen steht. Vielleicht gelingt es mir, etwas darüber zu erfahren, wenn ich
selbst in diese Quelle schaue.“
Radkas Blick
war ungläubig und auch Kazi sah sie stirnrunzelnd an: „Kennst du alle Rituale
der Priesterin?“, fragte sie.
„Nein, aber du
kannst mir helfen, Kazi. Braue mir einen Trank, der meine Sinne schärft.“
Kazi strich
sich nachdenklich mit den Händen über ihr Gewand. „Ich kann es tun, Libussa.
Aber ich vermag keinen Erfolg zu versprechen. Radka soll mitkommen. Auch sie
wurde von den Göttern zur Fürstin auserkoren. Es wird unser aller Kraft
brauchen. Und vergiss nicht: Was du siehst, wird dir vielleicht nicht
gefallen.“
8
Die neue Priesterin war klein und
dunkelhaarig
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