Die Träume der Libussa (German Edition)
erlebt“,
flüsterte er dann. „Dieses wilde, endlose Töten. Niemals werde ich Libussa
davon erzählen können. Sie würde es nicht verstehen.“
„Es ist besser,
wenn wir ihr Einzelheiten ersparen“, pflichtete ihm Mnata bei. „ Vermutlich
hätte sie Mitleid mit jedem gefallenen Franken.“
„Und ist es
denn verkehrt, so zu denken?“, erwiderte Premysl. „Ich habe es erst jetzt
begriffen. Es gibt keinen guten Krieg, denn haben die Kämpfer erst einmal Blut
gerochen, dann sind sie wie hungrige Wölfe.“
Mnata legte
seinen Arm beruhigend um Premysls Schulter. „Es ist vorbei, Vater.“ So nannte
er Premysl selten, doch nun brachte er seine Zuneigung durch diese Anrede zum
Ausdruck.
„Ach ja, meinst
du?“ Premysls Blick war aufmerksam geworden. „Wer sagt, es wäre vorbei?“
„Aber wir
feiern doch schon den Sieg. Wir haben das Heer der Franken verjagt.“
Premysl
seufzte. „Das also erzählt Widukind? Er hat mir von Anfang an nicht gefallen,
der Anführer der Sachsen. Hochmütig scheint er mir und in seinen eigenen Ruhm
verliebt.“
„Er ist eben
ein Edeling. Sehr angesehen bei seinen Leuten. So etwas steigt einem Mann schon
mal zu Kopf. Aber Vater, wir haben die feindlichen Krieger doch in die Flucht
geschlagen.“
Ungläubig sah
Mnata, wie Premysl den Kopf schüttelte.
„Ich habe mit
den Sachsen gesprochen. Nicht mit irgendwelchen edlen Kriegern, sondern mit den
Bauern. Sie alle erzählten von der unglaublichen Streitmacht der Franken. Ihre
Kämpfer treten in geordneten Reihen an und folgen sklavisch den Befehlen ihrer
Anführer. Das heute war eine wilde Horde, die über uns herfiel. Wir haben die
Krieger irgendeines Theoderich verjagt, der dem Frankenkönig dient. Aber nicht
das Heer der Franken.“
Mnata fühlte
Verwirrung in sich aufsteigen. „Aber der Frankenkönig kämpft doch gegen die
Sorben. Er ist weit weg. Wir feiern den Sieg und dann ziehen wir nach Hause. So
hat Krok es beschlossen. Sollte es zu weiteren Angriffen auf die Sachsen
kommen, finden sich später vielleicht mehr Verbündete. Die Aborditen sind auch
immer noch nicht da.“
„Nein",
sagte Premysl scharf. „Das sind sie in der Tat nicht, und wer weiß, ob sie
jemals kommen. Aber ich habe Männer gesehen, die nach dem Kampf ins Lager
kamen. Es waren auch Sachsen, glaube ich, aber ihre Gesichter schienen mir
fremd. Ich glaube nicht, dass sie von Anfang an dabei gewesen sind.“
Mnata zuckte
mit den Schultern. Worauf wollte dieser sture Bauernschädel hinaus? „Man kann
sich doch nicht alle Gesichter merken bei so vielen Leuten. Und wenn sie erst
jetzt dazu gestoßen sind, weil sie zum Kämpfen zu feige waren, aber den Sieg
genießen wollen, so sei es ihnen eben gegönnt.“
Premysl fuhr
mit den Fingern über die Bartstoppeln auf seinem Gesicht. „Sie haben nach ihren
Edelingen gefragt. Wollten sie unbedingt sofort sprechen wegen wichtiger
Nachrichten. Hast du im Saal etwas davon mitbekommen?“
Plötzlich hatte
Mnata ein ungutes Gefühl. Einige der sächsischen Edelinge hatten tatsächlich
kurz den Saal verlassen, als die Bediensteten ihnen etwas ins Ohr flüsterten.
Aber bald schon saßen sie wieder an ihrem Platz, tranken und redeten lautstark.
Es konnte nicht von Bedeutung gewesen sein.
„Ich glaube,
wir hätten auf Libussa hören sollen", sagte Premysl. „Sie hatte Recht.
Unsere Einmischung in diesen Krieg war ein Fehler.“
Mnatas Gefühl
freudigen Triumphes war verflogen. „Bald schon ziehen wir heimwärts, Vater“,
sagte er und strich Premysl über den Rücken. „Wenn wir wieder in Praha sind,
haben wir diesen Alptraum bald vergessen.“
Das glaubte er
wirklich, als er wieder zurück in den Saal ging. Vlastas strahlendes Gesicht
erinnerte ihn daran, dass sie die Sieger des Tages gewesen waren. Dann leerte
er noch einige Krüge Met und ließ sich schließlich auf sein Lager fallen. Der
Schlaf kam schnell.
Hörner weckten ihn unsanft. Er
sprang sogleich auf, und nachdem er eilig seine Tunika und das Wams des
Kriegers übergezogen hatte, trat er aus dem Zelt hinaus. Vlasta folgte.
Zusammen mit allen anderen Kriegern und dem ebenfalls erwachten Fußvolk
blickten sie auf einen Horizont, der nur aus berittenen Kämpfern zu bestehen
schien. Eiserne Waffen leuchteten wie Schmuckstücke im Sonnenlicht.
„Mnata, wie
heißt eigentlich dieser Ort hier?“, flüsterte Vlasta, die wohl hoffte, dass
alles nur ein schlechter Traum sei.
„Verden“,
erwiderte er.
„Ja, du hast
Recht. Ich hatte es
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