Die Träume der Libussa (German Edition)
vergessen", murmelte sie. „Es sind sehr viele Krieger,
die uns angreifen werden. Aber schon bald müssen die Aborditen hier sein.“
Mnata ließ
seinen Blick über die endlose Masse von Feinden schweifen. An ihrer linken
Flanke sah er eine weniger geordnete, bunte Schar von Kriegern, von denen nicht
alle beritten waren. Sie schwangen ihre Waffen und stießen Kampfschreie aus.
„Dort drüben, bei den Franken, das sind wohl die Aborditen", stellte er
nüchtern fest und staunte, dass in ihm nur Leere war.
„Ich hasse dieses Warten“, sagte
Libussa zu Kazi. Sie legte die mittlerweile fertig gewebten Gewänder ihrer
Kinder in die Truhe. Bis zum nächsten Korochun-Fest würde noch viel Zeit
vergehen, doch dann wäre Mnata sicher wieder zurück, um jene orangefarbene
Tunika zu tragen, die so gut zu seinem tiefschwarzen Haar passte.
„Jede Frau, die
Männer liebt, muss manchmal warten“, erklärte Kazi, die mit dem Mischen ihrer
Salben beschäftigt war.
Libussa fühlte
Ärger in sich aufsteigen. „Es war doch nur Kroks dumme Idee, in diesen Kampf zu
ziehen. Sonst wären Premysl und Mnata noch hier.“
Kazi musterte
sie kopfschüttelnd. „Männer lieben Kämpfe. Deshalb finden sie auch immer wieder
statt.“
„Premysl hasst
es, zu kämpfen“, widersprach Libussa. „Aber auch Frauen wie Thetka und ihre
Tochter Vlasta mögen den Kampf.“
„Thetka und
Vlasta denken wie Männer. So etwas kommt vor“, erwiderte Kazi. „Ich frage mich
manchmal, wenn die Männer in unseren Völkern einmal die Oberhand gewinnen,
werden sie solche Frauen dann besonders achten oder eher als Bedrohung
empfinden?“
Libussa
seufzte. Als ob es jetzt um solche lebensfernen Fragen ginge. „Dein Vojen ist
kein Kämpfer, aber gehört trotzdem dem männlichen Geschlecht an", sagte
sie und wunderte sich, dass Kazis seltsame Gedankengänge sie dennoch zu einem
Gespräch verleiten konnten.
Ihre älteste
Schwester runzelte die Stirn. „Du hast Recht. Er verhält sich nicht wie ein
Mann. Zunächst wünschte ich mir, Bivoj hätte seinen Sohn mitgenommen, als er
fortging, aber jetzt ist mir klar, dass er mit dem Jungen nichts hätte anfangen
können. Was soll nur aus diesem seltsamen Kind werden? Kürzlich bat er mich,
ihn die Heilkunst zu lehren. Doch das ist eine Aufgabe der Frauen.“
„Bei anderen
Völkern gibt es doch auch männliche Heiler. Warum willst du Vojen nicht
ausbilden?“
Kazi richtete
sich empört auf. „Wir Frauen müssen unsere Rechte verteidigen, sonst nehmen die
Männer uns alles. Deshalb kann ich keine männlichen Heiler in unserem Volk
dulden. Tschastawa wird von mir lernen.“
„Kazi, mir
scheint, dass Vojen dir sehr ähnlich ist“, warf Libussa ein. „Diese
verschlossene, menschenscheue Art, so bist du als Kind auch gewesen. Als unsere
Mutter dir den Umgang mit Waffen zeigen wollte, da hast du die Flucht
ergriffen, denn es lag dir nicht. Vojen bewundert deinen Ruhm als Heilerin und
sehnt sich nach deiner Anerkennung.“
Eine tiefe
Falte erschien zwischen Kazis Brauen. „Ich weiß, dass du mich verurteilst,
Libussa", sagte sie. „Aber ich kann nicht anders sein, als ich bin. Mit
Männern bin ich nie wirklich warm geworden. Manche von ihnen, wie dein Premysl,
haben Eigenschaften, die ich schätze. Doch ich habe mich einem Mann niemals so
nahe gefühlt wie du oder Thetka. Als ich diese schreckliche Geburt endlich
hinter mir hatte und die Hebamme mir sagte, ich hätte einen Sohn, da kam es mir
so vor, als hätte sich die große Mokosch einen schlechten Scherz mit mir
erlaubt.“
Libussa
schüttelte verständnislos den Kopf. „Männer sind Menschen wie wir. Vielleicht
wollte Mokosch, dass du es durch Vojen endlich begreifst. Du versorgst doch
auch die Krieger, wenn sie verletzt sind.“
„Natürlich",
erwiderte Kazi. „Das ist meine Aufgabe, und ich erfülle sie, so gut ich kann.
Ich habe doch nicht gesagt, dass ich allen Männern Tod und Unglück wünsche. Ich
sehne mich nur nicht nach ihrer Nähe. Im Übrigen tue ich nichts anderes als
unsere eigene Mutter. Ich stelle sicher, dass mein Kind versorgt ist, indem ich
es Kveta übergebe.“
Libussa musste
zugeben, dass ihre älteste Schwester Recht hatte. Sie alle waren hauptsächlich
von der Kindsmagd bemuttert worden, während die Frau, die sie geboren hatte,
mit anderen Aufgaben beschäftigt war.
„Vielleicht
könnte man Vojen zum Schamanen erziehen“, überlegte sie. „Auch sie müssen mit
Waffen umgehen können, werden aber nicht so hart
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