Die Träume der Libussa (German Edition)
zitterten.
„Nur ein paar.
Es ist kein Angriff. Mir scheint, sie wollen mit dir verhandeln, denn ...“
„Hole mir meinen
Dolch", unterbrach Libussa ungeduldig. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
War Radkas Befürchtung wahr geworden und ein fremdes Volk wollte mit einem
Überfall drohen? Noch hatte sie nicht genug kampferprobte Leute, um sich
dagegen zu verteidigen.
Entschlossen
trat sie auf den Hof und ließ den Wärter das Tor öffnen. Fünf Reiter kamen in
die Festung. Sie trugen fränkische Waffen, die überall teuer gehandelt wurden,
und die Worte der Begrüßung kamen hölzern aus ihrem Mund. Anstatt den Grund für
ihr Kommen zu erklären schoben sie einen Mann vor, der offensichtlich ihr
Gefangener war, denn man hatte seine Hände auf dem Rücken zusammengebunden.
Libussa hielt
sich nur mühsam aufrecht, denn ihre Welt geriet nun völlig aus den Fugen. Sie
bohrte sich die Fingernägel in ihre Handflächen und stellte fest, dass sie
nicht träumte, obwohl das Bild vor ihren Augen nicht der Wirklichkeit
entsprechen konnte. Sie hatte sich gezwungen, Premysls Tod als unabänderlich
hinzunehmen. Es war unmöglich, dass er hier vor ihr stand.
Der Mann mit
den gefesselten Händen schien um Jahre gealtert. Tiefe Schatten lagen unter
seinen Augen, die Libussa erschöpft musterten und stumm um Vergebung baten.
Fassungslos murmelte sie seinen Namen.
„Kennst du
diesen Mann, Fürstin?“, fragte einer der Krieger in barschem Tonfall.
Sie überwand
ihre eigene Starre und nickte.
„Gut, denn er
hat dir etwas zu sagen. Wir werden so lange warten. Es wäre freundlich von dir,
uns mit Essen und Trinken zu versorgen. Wir haben einen weiten Weg
zurückgelegt.“
Unaufgefordert
schwang er sich vom Pferd.
„Ich bin Graf
Theoderich", erklärte er anschließend. „Ich komme als Abgesandter des
Königs der Franken. Dieser Mann wird dir seine Botschaft übermitteln.“
Gemeinsam
zerrten zwei Krieger Premysl vom Pferd.
Libussa begriff,
dass man auf ihre Reaktion wartete. „Kommt mit mir in die Festung. Man wird
dort für euch auftischen. Kann ich mit eurem Gefangenen allein sprechen?“
Theoderich
nickte ohne Zögern.
Sobald sie allein in einem Raum
waren, sank Premysl auf einen Stuhl und vergrub sein Gesicht in den Händen.
Sein Körper begann zu beben. Sie bemerkte, wie deutlich die Knöchel an seinen
Handgelenken hervorstanden, und sah rote Schwellungen, die Spuren der Fesseln.
Er war abgemagert. Die zerrissene, verschmutzte Kleidung schlotterte an seinem
Körper. Libussa kam langsam näher. Sie musste ihre eigene Unsicherheit
überwinden, bevor sie sanft eine Hand auf seine Schulter legte. Sein Körper war
warm. Es saß tatsächlich kein Geist vor ihr. Plötzlich durchfuhr sie ein Gefühl
rasender Freude. Premysl lebte und war zurückgekommen. Doch als sie ihn umarmen
wollte, spürte sie, wie er zurückzuckte.
„Was ist mit
unseren Leuten? Haben noch einige außer dir überlebt?“, fragte sie verwirrt.
„Zwei der
Leitmeritzer-Söhne fielen im Kampf. Einige unserer Krieger ebenfalls und dann
natürlich noch Leute aus dem Fußvolk“, sagte Premysl. „Alle anderen leben noch,
außer Vojtan von den Lemuzi.“
Sein Blick wich
ihr aus.
„Mnata, Vlasta,
Thetka, Krok und Eric sind wohlauf?“, rief sie hoffnungsvoll. Er nickte, doch
sein Gesicht blieb ernst, als müsse er ihr eine traurige Nachricht überbringen.
„Sind sie
Gefangene?“, flüsterte sie. Wieder ein Nicken.
„Ebenso wie
Dragoweill und seine Männer. Und auch die Polanen. Die Aborditen kämpften auf
Seite der Franken.“
„Haben sie uns
verraten?“
„Vielleicht.
Oder Dragoweill hielt sich nicht an sein Versprechen. Das ist jetzt unwichtig.“
Libussa ließ
sich ihm gegenüber auf einem Stuhl nieder. Sein niedergeschlagener, starrer
Blick verwirrte sie ebenso wie der Abstand, den er von ihr zu halten wünschte.
Dieser Mann war ihr jahrelang näher gewesen als jeder andere Mensch in ihrem
Leben, doch nun schienen die Ereignisse ihn in einen Fremden verwandelt zu
haben. „Was genau ist geschehen, Premysl? Bitte erzähle es mir", sagte sie
sanft.
Endlich sah er
sie an. In seinen Augen lag stummes Entsetzen, als sei er aus einem Alptraum
erwacht. „Libussa, es ist besser, wenn du nicht erfährst, was ich gesehen
habe.“
„Ich habe es
selbst gesehen", erklärte sie. „Ich ging hinaus auf den Berg der Göttin
und blickte in die Quelle. Dort konnte beobachten wie … wie … all diese Männer
geköpft wurden, die nicht
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