Die Träume der Libussa (German Edition)
Christen werden wollten. Und da glaubte ich, ihr
wäret alle ebenso gestorben. Premysl, alle Fürstinnen hier halten ihre Söhne
und Brüder für tot. Du bringst gute Nachrichten, die wir so schnell wie möglich
verbreiten sollten. Wir wussten nicht, wie wir allein weitermachen sollten, so
groß war die Trauer. Ich dachte, du wärest für immer aus meinem Leben
verschwunden.“
Seine müden
Augen leuchteten kurz auf. Er legte seine Hände auf die ihren und umklammerte
ihre Finger so fest, dass es fast schmerzte. „Mir schien, dass ich während der
Hinrichtungen in Verden deine Stimme hörte. Aber das hielt ich für unmöglich.“
„Ich habe geschrien,
als ich es sah. Und manchmal glaubte ich, du würdest nach mir rufen. Warum hat
man euch leben lassen, Premysl?“
„Weil wir keine
Sachsen sind.“ Er lachte bitter auf. „Die slawischen Völker sind dem
Frankenkönig nicht so wichtig, da er damit beschäftigt ist, aus den Germanen
gute Christen zu machen, ob es ihnen gefällt oder nicht. Uns will er zunächst
in Frieden lassen, wenn wir seine Bedingungen erfüllen und uns nicht weiter in
seine Kämpfe einmischen.“
Libussa fühlte
tiefe Erleichterung. Das Grau um sie herum begann sich langsam aufzuhellen.
„Dann müssen wir diese Bedingung erfüllen. Wann will er die anderen
zurückschicken?“, fragte sie ungeduldig.
Premysl stand
langsam auf. Sie sah fassungslos, wie er auf sie zuging, sich vor ihr auf den
Boden setzte und mit beiden Armen ihre Taille umschlang. Sein Kopf lag auf
ihren Knien, als er zu sprechen begann. „Du hattest Recht, Libussa. Dieser
Kampf war aussichtslos. Wir schlugen die ersten Angreifer zurück, doch das
waren nur die Krieger Theoderichs. Dann traf der Frankenkönig mit seinem
riesigen Heer ein. Nicht umsonst gelten die Waffen der Franken als wertvoll,
denn sie sind besonders scharf und aus unzerbrechlichem Material. Wie sollten
wir jemals gegen sie siegen? Einige sächsische Edelinge hatten bereits
Nachrichten vom Herannahen des Königs erhalten, aber sie verrieten uns nichts.
Um sich selbst zu retten, liefen viele zu ihm über und berichteten, wer diesen
Aufstand angezettelt hatte. Widukind floh noch in derselben Nacht zum dänischen
König, dem Vater seiner Gemahlin. Wir saßen in der Falle, zusammen mit den
übrigen Sachsen, die ebenso ahnungslos waren. Dann begann das Gemetzel. Lange
wussten wir nicht, ob man uns nicht ebenso töten würde. Wir wurden in einen
Holzbau gepfercht und ununterbrochen bewacht. Schließlich schickte der
Frankenkönig nach uns, er wartete in seinem Lager mit Übersetzern. Er schien
ein sanfter, kluger Mann, doch wir alle hatten gesehen, wozu er fähig ist, und
wussten, dass es genug Gründe gab, ihn zu fürchten. Er nannte seine Bedingungen.
Krok schlug mich als Boten vor, da ich nur ein Bauer sei, doch einer, der dir
wichtig ist.“
Sie vergrub
ihre Finger in seinem Haar. Mit jedem Teil ihres Körpers wollte sie ihn
festhalten.
„Dann war es
doch eine gute Idee von dir, mit dem Fußvolk zu ziehen. Sonst hätte der
Frankenkönig dich vielleicht nicht zu mir geschickt", meinte sie
aufmunternd. Premysls verzweifelte Haltung beunruhigte sie. Zwar hatte er
Schreckliches erlebt, aber ihr Wiedersehen müsste auch für ihn ein Grund zur
Freude sein.
„Unsere Kinder,
Lidomir und Scharka, sind übrigens gesund und munter. Ich werde nach ihnen
schicken lassen, denn auch sie sollen sehen, dass ihr Vater zurückgekehrt
ist", erklärte sie in der Hoffnung, ihn dadurch aufzuheitern.
„Warte
Libussa!“ Das Entsetzen in seiner Stimme ließ sie frösteln. Es musste etwas
geben, das er ihr bisher verschwiegen hatte.
„Der
Frankenkönig nannte seine Bedingungen, die ich dir ausrichten soll. Er ist
bereit, die Gefangenen ziehen zu lassen, doch als Garantie, dass wir uns nicht
mehr in seine Kriege einmischen werden, will er Geiseln. Erst wenn diese bei
ihm eingetroffen sind, lässt er unsere Leute gehen.“
Der Sinn seiner
Worte sickerte langsam in ihr Bewusstsein. „Was für Geiseln? Wen sollen wir
schicken?“
„Er will den
Sohn der herrschenden Familie. Unsere Sitten sind ihm kaum bekannt, daher geht
er davon aus, so das wichtigste Familienmitglied zu bekommen. Er hält dich für
Kroks Tochter und möchte einen Knaben, den du geboren hast. Mnata bot sich an
zu bleiben, doch das wurde abgelehnt, weil er zu fremd aussieht, um ein echter
Behaime sein zu können. Der Frankenkönig hat Angst vor einer Täuschung. Deshalb
schickte er den Grafen Theoderich.
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