Die Träume der Libussa (German Edition)
du sein, so wie es die Christen wünschen.“
„Außerdem ist
er wohl auch noch reich und mächtig", fügte Radegund bissig hinzu. „Ein
Vertrauter des Frankenkönigs Karl vielleicht. Oder gar sein Sohn. Aber bitte
nicht Pippin, der Älteste. Den Buckligen will ich nicht.“
Sie kicherte
frech, als sie Hiltruds erhitztes, fassungsloses Gesicht sah.
„Aber um
ehrlich zu sein, Hiltrud, ich würde zur Not auch den Buckligen nehmen. Seine
Kebse werden, wenn es nicht anders geht. Ich bin nämlich ein Mädchen ohne
Mitgift und habe außerdem einen schlechten Ruf. Bettler können nicht wählerisch
sein, das weißt du selbst, sonst würdest du mich jetzt hinauswerfen. Die Beine
für einen Mann breitmachen zu müssen, egal wie alt oder hässlich er sein mag,
das ist der Preis, den eine Frau für ein erträgliches Leben zahlt. Das hast du
doch früher auch gemacht, bevor eine runzlige, vertrocknete Alte aus dir
wurde."
Einen
Augenblick lang erschrak sie selbst über ihre Worte. Hiltrud würde sie jetzt
wohl wirklich hinauswerfen, aber was machte das schon? Sie würde noch etwas
Zeit haben, um den Marktplatz aufzusuchen. Der Anblick feiner Stoffe und
kostbaren Schmucks konnte ihre zornige Verspannung lösen, auch wenn sie kein
Geld hatte, etwas zu kaufen. Denn sie hatte trotz allem die Absicht, Hiltrud zu
bezahlen. Es war nämlich nicht immer einfach, ihre schlechte Laune zu ertragen,
das wusste Radegund. Allein schon dafür hatte Hiltrud eine Entlohnung verdient.
Das rechte,
lebendige Auge der Wahrsagerin musterte sie blinzelnd.
„Du bist ein
Mensch voller Bitterkeit, Radegund, Tochter Clothards. Doch dieser Mann, den
ich sah, wird es schaffen, durch all deine Mauern zu dringen, die du mühsam
errichtest hast, um dich vor weiterem Schmerz zu bewahren. Er ist nicht reich,
und mächtig wird er niemals werden. Doch er kann dir Glück schenken, wenn du es
zulässt. Willst du jetzt mehr über ihn hören oder gehen, um dich durch teure,
leblose Dinge abzulenken, die du niemals besitzen kannst?“
Radegund
meinte, eine kalte Geisterhand hätte sie berührt. Wie konnte diese
ausgemergelte, halbblinde Alte nur ihre Gedanken lesen?
„Sag mir, was
du gesehen hast. Aber rede keinen Unsinn, von dem du meinst, dass ich ihn hören
will. Ich hasse es, Geld zu verschwenden", knurrte Radegund widerwillig.
„Ich sah eine
Siedlung, die in der Fremde sein muss, denn sie war mir unbekannt. Nur hölzerne
Bauten stehen dort. Unterhalb von ihr fließt ein breiter Fluß dahin, der genau
an jener Stelle eine Biegung macht. Die Bildnisse fremder Götter werden dort
verehrt. Holzstatuen, die man bei festlichen Anlässen schmückt und bunt bemalt.
Aber irgendwann wird der Ruhm dieses Ortes bis in den Himmel reichen. In vielen
Ländern wird man ihn kennen, und prächtige Bauwerke voller Schätze werden den
Platz jener Holzhütten einnehmen.“
Radegund war,
als sei sie auf einen hohen Turm gestiegen und genieße nun einen Ausblick, von
dem ihr schwindelig wurde. „Und was hat das mit mir zu tun? Irgendwann, wenn
der Ruhm dieser fremden Siedlung bis Gott weiß wohin reicht, lebe ich da noch?“
Hiltrud
schüttelte den Kopf. „Weder du noch der Mann, der dir seine Liebe schenken
wird. Deinen Namen wird man vergessen. Der seine soll in Schriften erhalten
bleiben, doch niemand wird mehr wissen, wie sein wirkliches Schicksal war, wenn
man beginnt, es niederzuschreiben. Aber höre, Radegund. Einen Sohn wirst du
gebären und dieser wird einen weiteren zeugen. Dieser Junge mit einem seltsamen
Namen, Borivoj, er wird ein großer Fürst sein, der mächtigste seines Volkes.
Deine Nachfahren werden das Schicksal dieser Siedlung mitbestimmen und
teilnehmen an dem Kampf zwischen dem neuen Glauben und den alten Göttern. Denn
dies scheint überall die Zukunft zu sein, Radegund. Die alten Götter müssen
sterben.“
Hiltruds Stimme
klang betrübt. Ungeduldig erhob sich Radegund.
„Was kümmert
mich all das? Die alten Götter sind mir gleich. Sei froh, dass ich niemandem
erzähle, wie du ihnen nachtrauerst, Hiltrud.“ Sie griff in ihren Beutel und
warf der Wahrsagerin die Münze hin. Dann flüchtete sie aus dem unheimlichen
Dunkel der Hütte.
„Warte, Tochter
Clothards, bitte warte", rief ihr die Wahrsagerin nach. „Manchmal kann man
sein Schicksal bestimmen. Die Götter lassen uns eine Wahl.“
Obwohl es ein
sonniger Tag war, glaubte Radegud zu frieren. Sie wollte nichts mehr hören.
„Was kümmert mich dieser Unsinn?“, dachte sie wütend und
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