Die Träume der Libussa (German Edition)
lenkte ihre Schritte
zum Marktplatz.
Sie kam an dem Tor aus der
Römerzeit vorbei und näherte sich dem neu gebauten Dom Sankt Peter, ohne die
Gebäude eines Blicks zu würdigen. Erst als sie die Marktstände der Händler
erreichte, wurde sie aufmerksam. Zärtlich glitten ihre Finger über silberne
Gürtelschnallen, Fibeln aus Bronze und feine Stoffe. Sie versuchte unauffällig
zu bleiben, damit die Händler sie nicht verjagten, weil sie bewunderte, ohne
etwas kaufen zu können.
Ein
dunkelhäutiger Händler hatte vor ihr einen blauen Seidenstoff ausgebreitet, als
wäre allein das Leuchten in Radegunds Augen die Garantie für einen guten Preis.
Sie konnte nicht widerstehen, ihre Handflächen über das kühle, glatte Material
gleiten zu lassen, und hätte liebend gern ihr Gesicht darin vergraben, um eine
Weile die Welt nicht mehr sehen zu müssen.
Vor einigen
Monaten hatte sie einen Mann kennen gelernt, der Gefallen an ihr fand. Er
handelte mit Ketten aus Glasperlen und bronzenen Armreifen – Waren, die ihm
angeblich Einlass in fürstliche Burgen gewährten. Dies hatte er erzählt, aber
vielleicht war es eine Lüge gewesen, ebenso wie das Versprechen, aus Radegund
seine Gemahlin zu machen.
„Ich habe
bereits eine Frau in Frankfurt, meiner Heimat. Dich hätte ich gern als mein
zweites Weib gehabt, aber der König und seine Bischöfe haben das verboten. Ich
muss auf meinen Ruf achten, Mädchen. Schließlich treibe ich Handel mit
vornehmen Leuten.“ Sie war zu stolz gewesen, ihn zu bitten, eine Kebse aus ihr
zu machen. Zudem hatte sie ihm bereits gegeben, wonach es Männer verlangte.
Hastige Berührungen in stillen Ecken, sobald es zu dämmern begann, denn sie
musste rechtzeitig zum Abendessen ins Haus ihres Vaters zurückkehren.
„Ich möchte
dich gern heiraten, Radegund, aber ein kluger Händler kauft keine Katze im Sack.“
Als er sie zum
ersten Mal gegen die Steinmauer drückte und ihr Gewand hochzog, fühlte sie sich
tatsächlich wie eine Katze, die man eingeschnürt in den Fluss geworfen hatte,
denn sie zappelte ohne Aussicht auf Befreiung. Der Schmerz durchbohrte ihren Unterleib
wie ein Schwert. Sie musste an ihre Zeit im Kloster denken, als die Äbtissin
sie auf kaltem Stein knien ließ, um ihr Eitelkeit und Hochmut auszutreiben.
Eine solche Qual, die sich langsam steigerte und kein Ende nahm, war noch
schwerer zu ertragen gewesen.
Im Kloster
hatte man sie dazu eingesetzt, die Gewänder für den Bischof und andere wichtige
Leute anzufertigen, denn der Äbtissin war nicht entgangen, wie geschickt
Radegund mit der Nadel umzugehen verstand. Viele Stunden hatte sie über
kostbare Stoffe gebeugt dagesessen und hatte genäht, gestickt und gesäumt. Wenn
durch ihrer Hände Arbeit traumhafte Kleidung entstand, ließ ihre nagende
Unzufriedenheit sie eine Weile in Frieden. Doch dieses Glück war immer nur von
kurzer Dauer, denn bald darauf musste sie sich stets von allem trennen, was sie
geschaffen hatte. Nur schlichtes, schmuckloses Leinen stand einer Nonne zu, die
ihre Reize vor aller Welt zu verbergen hatte.
Gelächter riss Radegund aus ihren
Gedanken. Ein Stück neben ihr hatte der ansässige Schmied eine Unterhaltung mit
einem der Händler begonnen.„Clothard war einst ein angesehener Mann, doch jetzt
sind seine Töchter billig abzugeben“, sagte er hämisch.
Der
dunkelhäutige Händler musste es ebenfalls gehört haben, denn er rollte den
Seidenstoff mit finsterer Miene wieder ein. Radegund begriff, dass ihn das
schöne Kleid aus dem Nachlass ihrer Mutter getäuscht hatte. Es war fein gewebt
und am Saum mit Goldfäden verziert, ein Mitbringsel aus der fernen, sonnigen
Heimat der Frau, die sie geboren hatte. Radegund hörte, wie die Stimmen zu
einem Tuscheln wurden, während immer wieder verstohlene Blicke ihre Gestalt
musterten.
Sie hatte
bereits geahnt, dass der Händler wohl mit seiner schnellen Eroberung
herumgeprahlt hatte, doch nun gab es keinerlei Zweifel mehr. Rasch wandte sie
sich um und ging davon, nur der letzte Funken Stolz hinderte sie daran,
loszurennen. Doch in ihrem Inneren tobte ein Sturm. Sie war erledigt, ganz und
gar. Jetzt nimmt mich keiner mehr zur Frau, dachte sie, nicht einmal der alte
Schmied, und der ist ein Witwer mit fünf Kindern. Ich könnte mich auch gleich
in die Gasse neben dem römischen Turm stellen, wo das Hurenhaus steht. Bei
allen Heiligen und der Jungfrau Maria, das wäre allemal besser, als im Kloster
zu enden.
Sie musste stehen
bleiben, denn ihr war übel
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