Die Träume der Libussa (German Edition)
auf dem Boden. Ein Stück hinter
ihr lag der riesige Hund, gleich neben dem Käfig mit der blinden Drossel. Diese
Tiere waren die steten Begleiter der Heilerin. Den Hund hatte sie vor Jahren
gerettet, als er noch ein Welpe war. Eine Bisswunde an seinem Bein, vermutlich
Folge eines Zweikampfs mit einem Wildtier, war vereitert, und er schien ein
hoffnungsloser Fall, den man erschlagen wollte. Kazi probierte ihre Heilkünste
an dem kleinen Tier aus, das später zu ihrem riesigen, humpelnden Schatten
wurde. Er tollte kaum herum wie andere Hunde, als fürchte er, Kazi könne
plötzlich wieder aus seinem Leben verschwinden, wenn er nicht ständig Acht gab.
Die Drossel war Kazi durch ihr wirres, zielloses Flattern aufgefallen, und sie
hatte sich ihrer angenommen. An ihrer Blindheit war nichts zu ändern, so dass
Kazi ihr aus Holz einen Käfig baute, in dem sie in Sicherheit war und sich zurechtfinden
konnte. Manchmal summte sie dem Vogel Melodien vor und behauptete, er tanze
dazu. Sie war der einzige Mensch, der in seinen Käfig greifen konnte, ohne bei
dem Tier Panik auszulösen. Den Kater hatte sie noch nicht lange. Da er bereits
fast alle Zähne verloren hatte, taugte er nicht als Mäusefänger und wäre in
einem Sack in den Fluss geworfen worden, hätte die verrückte Heilerin ihn nicht
im letzten Moment noch an sich gerissen. Sie fütterte ihn mit Milchbrei und
schnitt Fleisch in kleine Stückchen, die er schlucken konnte. Des Nachts war er
ihr Kopfkissen und sein lautes Schnurren füllte den Raum. Nun lag er
ausgestreckt vor ihren Füßen, umgeben von Tonschüsseln mit verschiedenen
Kräutern und Tränken, die Kazi untereinander zu mischen begann.
„Mein alter
Meister Zahnlos hat eine üble Bisswunde“, erklärte sie Libussa zur Begrüßung.
„Er hielt sich für unbesiegbar und hat sich mit einem Wiesel angelegt.“
Libussa äußerte
Mitgefühl und strich dem verletzten Kater über den Kopf. „Kazi“, begann sie
dann vorsichtig, „bei deinem ersten Kupala-Fest, da ... da hast du doch auch …“
„Ich habe das
Ritual vollzogen, das ist richtig. Das war meine Pflicht damals.“
Der Kater hatte
zu zappeln und zu wimmern begonnen, als Kazi seine Wunde auswusch. Sie schloss
ihn zur Beruhigung in die Arme. Die Liebe, die aus ihren Gesten sprach, schien
Libussa wärmend wie ein Herdfeuer.
„Weißt du noch,
wer es war? Denkst du manchmal an ihn?“
„Natürlich
weiß ich, wer es war. Aber wieso sollte ich daran denken? Es ist vorbei.“ Kazi sprach
widerwillig wie von einer unangenehmen Erinnerung.
Libussa hatte
das Gefühl, den falschen Weg eingeschlagen zu haben. „Thetka hat nach dem
ersten Mal ständig davon geredet, und auch jetzt kann sie den Mund nicht
halten", meinte sie daher.
„Thetka hört
sich allgemein gern reden. Außerdem hat sie eine Schwäche für Slavonik, mit dem
sie bei ihrem ersten Kupala-Fest zusammen war“, erwiderte Kazi, ohne den Blick
von ihrem Kater abzuwenden. Libussa nickte. Thetkas Benehmen beim letzten Fest
bestätigte Kazis Annahme.
„Warum wirbt
Slavonik nicht um Thetka, wenn sie ihm zugetan ist?“, fragte sie daher
verwirrt. „Ich hatte immer den Eindruck, dass er es auf eine von uns dreien
abgesehen hat, weil wir zu dem angesehensten Fürstenclan der Behaimen gehören.“
Es war Libussa peinlich, ihr eigentliches Anliegen auszusprechen, und so kam
ihr die kurze Abschweifung sehr gelegen.
„Ja, das
stimmt. So sehe ich Slavonik auch“, meinte Kazi. „Ich glaube, er will warten,
bis feststeht, welche von uns die Nachfolge unserer Mutter antreten wird.
Vorher wollte er uns alle drei beim Kupala-Fest ausprobieren. Nur dich hat er
dabei nicht bekommen, das hat mir gefallen.“
Kazi grinste,
während sie eine Salbe auf der Wunde des ruhig daliegenden Katers verteilte.
Die Frage nach dem Partner bei ihrem ersten Fest war damit beantwortet. Libussa
beschloss, ohne weitere Umwege endlich auf ihr Ziel zuzugehen.
„Ich war mit
einem anderen zusammen, das ist richtig“, sagte sie, „Und jetzt kann ich diesen
Jungen nicht vergessen. Die Erinnerung verfolgt mich. Nachts, da erscheint er
mir im Traum, und dann wirkt er so vertraut, als würde ich ihn schon seit
Jahren kennen. Ich sehe dann noch andere Dinge. Ein kleines Dorf, an dem nichts
Ungewöhnliches ist. Zwei ... zwei Ochsen ...“
Sie verstummte
aus Angst, sich lächerlich zu machen. Doch wer Tiere so liebte wie Kazi, fand
wohl nichts Dummes daran, von ihnen zu träumen.
„Ich sehe einen
Fluss“, fuhr Libussa
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