Die Träume der Libussa (German Edition)
Einige der
Bauern schüttelten den Kopf und nannten sie waghalsig, weil sie allein
unterwegs war. Libussa zeigte ihnen den Dolch an ihrem Gürtel. Alle drei
Töchter der Fürstin Scharka hatten gelernt, mit Waffen umzugehen, auch wenn nur
Thetka sich wirklich dafür begeistern konnte. Doch die Bauern waren wenig
beeindruckt von einem bewaffneten Mädchen. Sie solle zu allen Göttern beten,
dass sie nicht den jungen Fürstensöhnen der Lemuzi in die Hände fiel, sagten
sie.
Libussa
wunderte sich, dass man sie vor Vojtan und Neklan warnte. Sie war stets davon
ausgegangen, dass dank den Bündnissen ihres Onkels, des Stammesführers, nun
Frieden im Land der Behaimen herrsche. Aber die wachsende Nervosität, als
Staditz immer näher rückte, verdrängte diese Überlegungen.
Ein paar Holzhütten tauchten vor
ihr auf, und Libussa sah Bauern Vieh in eine davon treiben, die vermutlich als
Stall diente. Sie schwangen Gerten und schrien. Libussa erkannte Premysl an
seinen gelassenen Bewegungen. Er machte den Tieren keine Angst, sondern lenkte
sie in einer ruhigen Art, die sie wohl als natürlich empfanden. So war er auch
in ihrer gemeinsamen Nacht gewesen. Sonst hätte Libussa vielleicht nie den Mut
gefunden, das Ritual mit ihm zu vollziehen. Auf einmal empfand sie tiefe
Zuneigung für den Unbekannten. Sie wusste, dass Kazi diesen Jungen mögen würde,
denn ihre älteste Schwester achtete jeden, der gut mit Tieren umzugehen
verstand. Libussa lächelte und trieb das Pferd voran. Als sie die Hütten
erreicht hatte, machte Premysl ein paar zögernde Schritte in ihre Richtung.
„Das Mädchen
ohne Namen! Woher kommst du auf einmal?“ Aus seiner Stimme sprach keine Freude,
nur Überraschung.
„Ich komme aus
Chrasten, der Festung des Stammes der Tschechen.“
Er stieß einen
Pfiff aus, der ihr nicht gefiel. Es lag Spott darin. „Du dienst der hohen
Priesterin und dem Anführer aller Stämme! Es muss eine Ehre sein, in Chrasten
zu wohnen.“
„Es ist eine
Festung wie jede andere. Die Fürstin Scharka und der Stammesführer Krok tragen
oft eine schwere Last.“
„Es ist schön
für dich, dass du deine Herrschaften so verehrst“, bemerkte Premysl nicht mehr
ganz so spöttisch. Er trat auf sie zu.
„Du hast einen
weiten Weg gemacht.“
Als sie vom
Pferd sprang, streckte er ihr die Hand entgegen. Libussa fühlte das Kratzen
seiner Handfläche auf der ihren. Sie dachte daran, wie viele Stellen ihres
Körpers dieser spöttische Fremde schon berührt hatte und wünschte sich auf
einmal weit weg. Die neugierigen Blicke der anderen Bauern missfielen ihr.
„Wollen wir zu meiner
Hütte gehen, Mädchen ohne Namen?“
Libussa war
froh, den Zuschauern zu entkommen, auch wenn sie sich das Wiedersehen anders
vorgestellt hatte. Premysl wohnte in einer der kleinen Holzhütten, deren Boden
man tiefer in die Erdoberfläche eingegraben hatte. Es gab einen Herd darin,
doch weder Tisch noch Bänke. Einfaches Volk saß beim Essen in der Hütte wohl
auf dem Boden, wo einige Decken aus gegerbtem Leder herumlagen. Libussa fragte
sich, wo sie schliefen, denn sie konnte nirgends eine Bettstatt entdecken.
Diese Überlegungen wurden von einer kleinen, runzligen Frau unterbrochen, die
ihnen entgegentrat. Sie musterte Libussa misstrauisch, als stünde vor ihr eine
der Vilas, die in guter oder böser Absicht kommen konnten.
„Meine Mutter“,
sagte Premysl. Dann stellte er Libussa seine Schwester vor. Sie hatte ein
breites Gesicht und auffallend schmale, etwas schräg stehende Augen, als stamme
sie von den Awaren ab. Sabber lief ihr übers Kinn, sobald sie unverständlich zu
brabbeln begann. Obwohl Premysls Schwester bereits ausgewachsen sein musste,
konnte sie nicht verständlicher sprechen als ein kleines Kind.
Libussa kam sie
vor wie ein Wechselbalg aus der Welt der Geister. Sie wusste, dass manche Leute
behaupteten, diesen Kindern mangele es nur an Verstand. Manchmal wurden sie
deshalb getötet. Premysls Mutter hatte es wohl nicht fertiggebracht.
„Meine Mutter
hat drei Söhne geboren, aber nur ein einziges Mädchen. Sie ist eine Frau, die
noch in den alten Sitten denkt. Nichts wünschte sie sich sehnlicher als eine
Tochter“, meinte Premysl, als hätte er ihre Gedanken gehört. Libussa nickte und
bemühte sich, das seltsame Geschöpf freundlich anzulächeln. Das Mädchen wirkte
fröhlich, es lachte laut und schien hier die sorgloseste Person zu sein. Ganz
anders als seine Mutter, deren Falten und gebeugte Haltung von
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