Die Träume der Libussa (German Edition)
mag?“
Seltsamerweise
erschrak sie nicht mehr über ihre eigene Ehrlichkeit, sondern fand es
befreiend, offen zu reden. Lidomirs Augen hatten zu leuchten begonnen. Wieder
zog er sie an sich. Ein Kuss’, dachte Radegund, ist viel inniger als die Dinge,
die dieser Händler damals mit mir machte. Wie wird wohl alles Weitere sein mit
einem Mann, der mir gefällt?
Sie spürte in
sich ein aufgeregtes Flattern, das aber verschwand, als Lidomirs Hände über
ihren Rücken glitten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass seine Berührung
ihr unangenehm sein könnte. Gemeinsam gingen sie in die Stadt zurück. Lidomir
versprach, noch an diesem Tag mit Vater Anselm zu reden, bevor er anschließend
Radegunds Familie aufsuchte. Er hoffte, sie könnten von Vater Anselm getraut
werden, vielleicht sogar in der neu gebauten Kathedrale, denn sie schien ihm
ein sehr schöner Ort dafür.
Ein seltsamer Heide, der
Kathedralen mag, grübelte Radegund, als sie hinauf in ihre Kammer stieg. Und
ich habe ihm beinahe selbst einen Antrag gemacht, was einer Frau nicht zusteht.
Doch siehe da, er hat angenommen. Mit dem Gefühl, einmal im Leben über ihr
widriges Schicksal triumphiert zu haben, warf sie sich glücklich auf ihr Lager.
Das Boot trug Radegund sanft über
den Chiemsee. Vor den riesigen Bergen, die im Hintergrund den Himmel zu
berühren schienen, sah die Insel aus wie ein kleiner grüner Edelstein, von
blauer Seide umgeben. Beinahe gelang es Radegund, diesen Anblick zu genießen.
Vor vielen Jahren, als sie gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester zum ersten Mal
hierher gebracht wurde, hatte Anahild laut ausgerufen, dieser Ort müsse von
Feen bewohnt sein, so zauberhaft sei er. Doch Radegund wusste schon damals,
dass die Wirklichkeit wenig mit schönen Geschichten über unsterbliche
Zauberwesen zu tun hatte. Nun, da die vertrauten Klostermauern immer deutlicher
zwischen den Bäumen hervortraten, meinte sie, eine unsichtbare Last auf ihrer
Brust zu spüren, die ihr das Atmen erschwerte. Panisch holte sie tief Luft, bis
ihr schwindelig wurde. Als sie aus dem Boot stieg und dem Fährmann seine
Entlohnung in die Hand drückte, bemerkte sie, dass sie am ganzen Körper
zitterte.
Schwester
Agatha an der Pforte erkannte sie sogleich.„Clothards Tochter, willst du wieder
zu uns kommen?“ Es klang sogar freundlich. Radegund schüttelte heftig den Kopf.
„Ich möchte
mich von meiner Schwester verabschieden. Ich werde bald heiraten und
fortgehen.“ Sie zog die Schultern zurück und genoss ihren Triumph.
Schwester
Agatha schien nicht sonderlich beeindruckt. „Ich hoffe, du hast es dir gut
überlegt. Die Ehe ist ein heiliges Sakrament und kann nie wieder aufgelöst
werden. Anders als zu heidnischen Zeiten.“
„Warum sollte
ich sie je wieder auflösen wollen? Ich heirate einen jungen, gutaussehenden
Mann, der mich über alles liebt. Er stammt aus einer fürstlichen Familie",
erwiderte Radegund schnippisch.
„Manchmal“,
sagte Schwester Agatha leise, „straft uns Gott, indem er unsere Wünsche
erfüllt. Meine Schwester heiratete einen Edeling, der sie jetzt satt hat. In
früheren Zeiten, da hätte er ihr die Mitgift zurückgeben und sie fortschicken
können, doch als Christ darf er das nicht. Bis dass der Tod euch scheidet,
heißt es nun. So, wie er meine Schwester behandelt, glaube ich manchmal, er
will ihren Tod vorantreiben. Ich hoffe, dein Glück wird von Dauer sein,
Clothards Tochter.“
Das wird es
schon, du alte Schwarzseherin, dachte sich Radegund, als sie den kleinen Raum
betrat, wo die Nonnen Besuch empfangen durften.
Anahild sah in
ihrem dunklen Gewand sehr blass und mager aus. Als Radegund ihre Hände drückte,
fühlten sie sich heiß an.
„Bist du
krank?“, fragte sie erschrocken. Anahild schüttelte den Kopf.
„Es ist nichts.
Die Äbtissin hatte mich zur Strafe in die einsame Zelle gesperrt, und das
bekommt mir nicht gut.“
Radegunds
Stimmung verdüsterte sich schlagartig. Sie hatte die feuchte, finstere Zelle
noch gut in Erinnerung. Schon nach wenigen Stunden fraß die Kälte sich in alle
Knochen und verursachte quälende Schmerzen. Man bekam jeden Tag nur drei
Scheiben trockenes Brot zu essen. Dabei war Anahild schon immer sehr zart und
anfällig für Krankheiten gewesen.
„Diese Frau
hasst dich. Daran wird sich nie etwas ändern. Willst du wirklich hier im
Kloster bleiben, Anahild?“
Die Schwester
nickte entschieden. „Es ist meine Berufung. Das habe ich immer gewusst. Ich
möchte als Nonne
Weitere Kostenlose Bücher