Die Träume der Libussa (German Edition)
mit Lidomir gegeben hatte, dann war es Radegund gerade
eben gelungen, sie zu zerstören.
Das Kloster
also, dachte sie, oder die Gasse am Römerturm. Weiß Gott, ich habe es nicht
anders verdient.
Sie hörte
Schritte hinter sich, jemand packte sie und hielt sie fest. Es war Lidomir. Sie
wehrte sich, trat nach ihm. Doch seine Beine hielten den hölzernen Absätzen
ihrer Stiefel entschlossen stand.
„Was ist denn
nur los, Radegund? Meinst du wirklich, ich würde einfach mit Vater Anselm abreisen
und dich niemals wiedersehen? Habe ich mich deshalb all die Monate mit dir
getroffen? Warum unterstellst du allen Menschen immer nur die bösesten
Absichten?“
Sie hörte auf,
ihn anzugreifen und wurde losgelassen.
„Warum triffst
du dich überhaupt mit mir? Von deiner Familie weiß ich inzwischen allerhand.
Über unser beider Erfahrungen im Kloster haben wir gesprochen. Doch mit keinem
Wort verrätst du mir, woran ich bei dir bin. Willst du einfach eine Vertraute,
mit der du in Ruhe plaudern kannst? Es tut mir Leid, mir reicht das eben
nicht.“
Wieder dieser
ernste, traurige Blick. Diesmal schien er ihr wie ein endgültiger Abschied. Sie
war zu weit gegangen, hatte ihr hässlichstes Gesicht gezeigt. Welcher Mann
wollte schon eine Frau, die um ihn bettelte und bei einer Zurückweisung nach
ihm trat?
„Es ist schon
gut. Vergiss einfach, was ich gesagt habe. Wir müssen uns nicht im Bösen
trennen. Du hast nichts getan, das ich dir vorwerfen könnte", meinte sie
versöhnlich und war froh über das Schneetreiben, denn es würde die Tränen in
ihrem Gesicht verbergen.
Lidomir sah
selbst todunglücklich aus. „Radegund, ich kann eine Christin nicht heiraten.
Aber zugleich habe ich selbst erlebt, was bei euch einer Frau blüht, die ein
Verhältnis eingeht, ohne sich vorher vermählt zu haben. In Vater Anselms Haus
erhängte sich ein junges Dienstmädchen, weil es ledig und schwanger war. Ich
verstand dieses Verhalten damals nicht, denn in meinem Volk wird jede Geburt
begrüßt, doch Vater Anselm erklärte mir die Hintergründe. Ich schwor mir
damals, niemals eine Frau in solche Schwierigkeiten zu bringen.“
„Das ist sehr
edelmütig", sagte sie, ohne den Spott ganz aus ihrer Stimme herauslassen
zu können. Sie war eine dumme Gans gewesen, dieses Dienstmädchen. Ebenso wie
Radegund selbst, die nach dem Verschwinden jenes Händlers tagelang zitternd auf
ihre monatliche Blutung gewartet hatte. Die Erinnerung an diese Zeit machte sie
noch zorniger.
„Doch verrate
mir bitte, warum du keine Christin heiraten kannst", fuhr sie daher bissig
fort. „Meinst du, wir sind alle heimtückische, unreine Töchter Evas? Du hättest
dir schon eine bessere Ausrede einfallen lassen können als das.“
Er seufzte und
sie meinte, Betroffenheit in seinen Augen zu erkennen. „Du schlägst immer um
dich. Wie eine Katze, die sich von einer Hundemeute in die Ecke gedrängt sieht,
willst du allen noch ein paar Kratzwunden verpassen, bevor du verloren bist.
Aber ich wollte dich niemals unglücklich machen, Radegund.“
Seine Hände
legten sich auf ihre Schultern. Sie gab dem Druck seiner Arme nach und staunte,
wie warm eine Umarmung sein konnte. Das nagende Gefühl in ihrer Brust fand
einen Augenblick lang Frieden.
„Ich wollte es
dir auf viele verschiedene Weisen sagen, doch mir scheint, du hast meine Worte
nicht wirklich begriffen", flüsterte Lidomir. „Ich möchte eines Tages zu
meinem Volk zurückkehren. Dort werde ich nicht als Christ leben. Vieles ist
anders bei uns. Es würde dir vielleicht nicht gefallen. Du hast hier deine
Familie. Regensburg ist deine Heimat. Wie könnte ich von dir erwarten, all das
aufzugeben, um mit mir in die Fremde zu ziehen?“
Sie löste sich
von ihm und blickte staunend in sein ernstes, betrübtes Gesicht. War es
möglich, dass er die Wahrheit sprach?
„Ich glaube, du
hast auch nicht wirklich zugehört, als ich dir von meiner Familie erzählte.
Meinem Vater bin ich gleichgültig. Er liebt nur Gudrun und seinen Sohn. Meine
Stiefmutter ist mir nicht so feindselig gesinnt, wie ich zunächst dachte, doch
ich kann nicht bis an mein Lebensende bei ihnen bleiben. Irgendwann stecken sie
mich wieder ins Kloster, falls sich kein Kerl findet, der mich nimmt. Da ich
kaum Aussicht auf Mitgift habe, kann ich nicht gerade wählerisch sein. Dich
aber würde ich gern zum Gemahl haben. Glaubst du wirklich, ich würde nicht mit
dir in deine Heimat gehen, egal wie heidnisch und fremd sie sein
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