Die Träume der Libussa (German Edition)
leben.“
„Du möchtest
dich weiter von einer verbitterten, bösartigen Frau quälen lassen? Hör zu,
Anahild. Ich werde bald heiraten. Mein zukünftiger Gemahl ist ein Fürst. Ich
werde ihm in seine Heimat folgen. Vielleicht kann er etwas für dich tun. Einen
Ehemann für dich finden.“
Anahild
lächelte. „Ich freue mich für dich, Schwester. Vielleicht kannst du nun ein
Leben führen, wie du es dir immer gewünscht hast. Mir fiel gleich auf, wie
zufrieden du aussiehst. Doch ich selbst will keine Ehe. Mein Leben gehört dem
Kloster. Das mit der Zelle war meine Schuld, weil ich es einfach nicht lassen
kann, selbst Gebete und Schriften zu verfassen, obwohl der Bischof es uns
Frauen doch verboten hat. Aber ich glaube, es werden bessere Zeiten kommen.
Nach diesem Bischof und unserer jetzigen Äbtissin. Eines Tages wird es mir
erlaubt sein, meine Gebete während der Andacht vorzutragen.“
In ihren Augen
funkelte mehr als nur Fieber. Anahilds zerbrechlicher Körper war von der Kraft
ihres unerschütterlichen Glaubens erfüllt.
„Erzähle mir
von deinem Verlobten, Schwester. Ist er ein Anhänger des Frankenkönigs?“
Radegund senkte
verlegen den Blick und zögerte.
„Was ist?
Solange er auch nur ein bescheidenes Auskommen hat, wirst du an seiner Seite
ein gutes Leben führen. Ich sehe an deinem Gesicht, dass du diesen Mann liebst.
Würdest du ihn nur heiraten, um dem Kloster zu entgehen, könntest du niemals so
strahlen. Ich bin froh, dass auch du deine Bestimmung im Leben gefunden hast,
Schwester.“
Diese Worte
machten Radegund Mut. „Er ist ein Heide aus dem Volk der Behaimen. Als Kind
wurde er zur Geisel bestimmt und kam in das Reich unseres Königs. Natürlich
erzog man ihn im christlichen Glauben, aber Anahild er ... er ... hängt immer
noch an seinen alten Göttern. Kürzlich kam die Nachricht, dass er wieder in
seine Heimat zurückkehren darf. Sein Onkel, der Anführer der Behaimen, muss dem
König Gegenleistungen versprochen haben. Ich werde ihn begleiten. Als Christin
sollte es meine Aufgabe sein, den wahren Glauben bei seinem Volk durchzusetzen.
Doch ich fürchte, das würde mich und meinen Gemahl nur entzweien, denn er will
es nicht. Ich selbst möchte seine Liebe nicht verlieren. Was meinst du, was
soll ich tun?“
Anahild senkte
nachdenklich den Kopf. Ihr Schweigen war lang und quälend für Radegund. Zum
ersten Mal wurde ihr bewusst, dass die Schwester stets ihre einzige Verbindung
zu Gott gewesen war, und wie sehr sie ihren Rat und ihre Zustimmung brauchte.
„Deine
Bitterkeit ist endlich verschwunden", begann Anahild zaghaft zu sprechen.
"Du scheinst weniger unleidlich als früher, als ich stets überlegen
musste, welcher Schmerz sich wohl hinter deinem Verhalten verbirgt, um dir
vergeben zu können. Ich kann nicht glauben, dass ein Mann, der dich so
verändern konnte, ein schlechter Mensch sein soll, ganz gleich, welcher
Religion er anhängt." Sie strich sich mit ihren dünnen Fingern über die
Schläfen, als falle es ihr schwer, die eigenen Gedanken zu ordnen.
„Weißt du,
Radegund, wenn ich allein bin, so wie kürzlich in der Zelle, da kommen mir die
seltsamsten Einfälle. Manchmal glaube ich, es ist vielleicht gar nicht wichtig,
wen wir anbeten. Jesus sprach von Liebe und Barmherzigkeit, nicht von
regelmäßigen Kirchenbesuchen. Vielleicht wird man uns nach unserem Tode danach
beurteilen, wie wir gelebt haben. Ob wir unseren Mitmenschen Gutes taten oder
sie nur benutzten. Auch ein Heide vermag vielleicht nach den Vorstellungen
Christi zu handeln, ohne je getauft worden zu sein. Hilf deinem Gemahl, den
rechten Weg zu gehen. Erinnere ihn an das Gebot der Nächstenliebe, wenn es
angebracht ist. Doch dränge weder ihn noch sein Volk zum christlichen Glauben.
Gewalt und Zwang vermögen keine Herzen zu öffnen.“
„Anahild, es
wäre schade, wenn deine Güte und dein Verstand immer hinter Klostermauern
verborgen blieben“, sagte Radegund voller Überzeugung.
Anahild
schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich in der Welt da draußen zurecht
käme. Ich bin nicht so zäh wie du, Radegund. Aber wenn du gehst, dann gehe mit
Gott. Ich gebe dir meinen Segen. Und nun sage mir, wo liegt dieses Land der
Behaimen?“
Radegund
erzählte, dass es jenseits der vom König errichteten Ostmark lag. Sie würde
Berge überqueren müssen auf dem Weg in die neue Heimat. Doch nun, mit dem Segen
ihrer Schwester, fühlte sie sich stark genug, allen Widrigkeiten zu trotzen.
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Zwei
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