Die Träume der Libussa (German Edition)
Gesicht war wie versteinert.
Krok nahm
endlich einen Knochen von dem Braten in die Hand und nagte nachdenklich an dem
Fleisch. „Nun erzähle einmal, Lidomir, was hat man dir im Frankenreich
beigebracht?“, fragte er kauend in einem bemüht freundlichen Ton.
„Ich kann lesen
und schreiben", erklärte der junge Mann unsicher. Krok legte das Fleisch
wieder auf den Teller. „Schön. Hat man dir auch beigebracht, mit dem Schwert
umzugehen?“
Lidomir
rutschte auf seinem Stuhl herum. „Onkel, ich wurde von einem Priester erzogen.“
„Von einem
dieser bekittelten Schwächlinge also. Das dachte ich mir. Man macht Lämmer aus
unseren Leuten, die bei einem Angriff leicht geschlachtet werden können. Morgen
früh, Junge, bist du im Hof, um den Umgang mit Waffen zu lernen, so wie alle
Männer. Mnata wird dort sein. Und auch Vlasta kommt regelmäßig aus Tetin, dem
Wohnsitz ihrer Mutter. Nimm sie dir zum Vorbild, denn das Mädchen gehört zu
unseren besten Kämpfern."
Radegund fühlte sich verloren,
nun da Lidomir wenig Zeit für sie hatte. Der große, alte, zornige Mann ließ ihm
kaum noch einen Augenblick der Ruhe. Kam er von den Kampfübungen zurück, so
schmerzte jedes Glied seines Körpers, und er sank erschöpft auf ihre Bettstatt.
Nachts begann sie seine Annährungsversuche sogar zu vermissen. Sie ahnte, dass
Lidomir sich lieber wieder mit den alten Philosophen befasst hätte, als den
Umgang mit dem Schwert zu lernen, doch er folgte den Wünschen dieses Krok ohne
jeden Widerstand.
„Ich bin es
meinem Volk schuldig, Radegund", war seine Erklärung. „Mir ist jetzt klar
geworden, wie selbstsüchtig es von mir war, bei meiner Ausbildung im
Frankenreich allein meinen Neigungen zu folgen. Nur Geistliche befassen sich
mit der Philosophie, und ich wusste, dass ich niemals ein Geistlicher werden
wollte. Stattdessen hätte ich Kenntnisse über die Baukunst und das Schmieden
von Waffen erwerben sollen, damit meine Leute den Franken nicht unterlegen
sind. Diese Wassermühlen bei euch erleichtern das Leben der Bäuerinnen, da sie
das Getreide nicht mehr mit der Hand mahlen müssen. Ich hätte mich erkundigen
sollen, wie man sie baut.“
Radegund
verstand nicht, warum ihn das Schicksal von Bauersfrauen kümmerte, doch jeder
Versuch, ihm seine Gewissensbisse auszureden, scheiterte. Stattdessen schwärmte
er von diesem Mannweib Vlasta. „Auch ein körperlich nicht besonders starker
Mensch kann das Kämpfen lernen. Es ist eine Frage der Schnelligkeit und des
Geschicks. Beides beherrscht Vlasta hervorragend.“ Radegund hätte sich nie
vorstellen können, auf eine derart unweibliche Frau eifersüchtig zu sein. Das
Schicksal konnte heimtückisch sein in seiner Gemeinheit.
Sie vertrieb
sich die Zeit in der Festung so gut sie konnte. Leider trafen nicht oft genug
Händler ein, um sie von ihrer Langweile abzulenken. Manchmal wünschte sie sich
wieder Aufgaben wie im Kloster, doch den Mägden zu helfen, hätte nicht ihrer
Stellung entsprochen. So ging sie im Hof herum, sah bei den Kampfübungen zu,
die sie langweilten, und bemühte sich, der Barmherzigkeit von Lidomirs Mutter
zu entkommen, deren Freundlichkeit ihr ein gnädiges Almosen schien.
Als sie wieder
einmal an den Hütten der Handwerker vorbeispazierte, kam ihr plötzlich Lidomirs
Schwester Scharka entgegen. Radegund nahm ihr Lächeln zur Kenntnis. Dieses
Mädchen sah ständig gut gelaunt aus, was Radegund als ein Zeichen von
Beschränktheit erschien. Eine so reizvoll aussehende junge Frau hoher Abkunft
musste viele Neiderinnen haben, doch sie schien blind für jede Feindseligkeit.
„Dein Gewand
ist sehr schön", begann das Mädchen. Genau wie ihre Mutter redete sie sehr
langsam und deutlich, wenn sie mit Radegund sprach. „Das ist fast allen Frauen
in Praha aufgefallen, eigentlich allen außer meiner Cousine Vlasta. Die hat
keinen Blick für solche Dinge.“
Radegund
nickte. Obwohl sie derartiges Geplauder unter Frauen sonst ermüdend fand,
freute sie sich. Schöne Kleidung anzufertigen gehörte zu ihren wenigen Talenten
und sie liebte es, dafür gelobt zu werden.
„Deine Frisuren
gefallen mir auch", fuhr Scharka fort. „Du kannst dich herrlich zurecht
machen. Hättest du vielleicht Lust, dich zu mir und meinen Freundinnen zu
setzen, wenn wir zusammen Kleidung anfertigen? Du könntest uns allen sicher
auch wertvolle Ratschläge geben, wie eine Frau sich vorteilhaft kleidet.“
Radegunds Kopf
nickte wie von selbst. Sie hatte ihre Abneigung gegen Scharka
Weitere Kostenlose Bücher