Die Träume der Libussa (German Edition)
selbstverständlicher Teil der Gemeinschaft, wozu ihr hauptsächlich
Scharkas Freundschaft verholfen hatte. Es erstaunte sie, wie viel Freude sie
darüber empfand. Ein wenig abseits des Kreises um Lidomirs Schwester erkannte
sie Kazis Sohn Vojen. Er trug eine hellrote Tunika und sein Gesicht war ähnlich
bemalt wie die Götzenstatuen. Radegund erinnerte sich, dass er auch bei den
Zeremonien anwesend gewesen war und gemeinsam mit anderen, wild bemalten
Männern – Schamanen, wie Lidomir ihr erklärt hatte – gesungen hatte, während
Fürstin Libussa ihre Segenssprüche aufsagte. Vojen machte keinen glücklichen
Eindruck, einer dieser Auserwählten zu sein. Sein Gesicht wirkte meist wie eine
verriegelte Tür, und wenn eine Gefühlsregung sich darauf zeigte, dann war sie
nicht von freudiger Art. Bei den religiösen Gesängen hatte er nur gelangweilt
gewirkt. Auch zu ihm sprachen wohl keine göttlichen Stimmen. Er wirkte
unzufrieden mit seinem Leben, so wie Radegund selbst es lange gewesen war. Ihr
schien, als kenne sie ihn gut, obwohl sie nie mit ihm gesprochen hatte.
Vojens Blick
traf sie und musterte sie aufmerksam. Radegund gefiel das gar nicht. Sie wollte
nichts zu tun haben mit jemandem, der offenbar viele ihrer eigenen schlechten
Eigenschaften besaß. Außerdem war jetzt alles anders. Sie fühlte sich wohl bei
Lidomirs Leuten.
In Ruhe
betrachtete sie die Aufmachung der Anwesenden. Alle trugen jene bunten, bestickten
Gewänder, die bei den Behaimen beliebt waren. Ketten aus verschiedenfarbigen
Perlen und heidnische Amulette hüpften auf ihrer Brust auf und ab, wenn sie
sich bewegten. Besonders die Frisuren der Frauen gefielen ihr, die unzähligen
ineinander verschlungenen Zöpfe und einfallsreich geformten Kopfbedeckungen aus
farbenfrohem Tuch, dazu die Schläfenringe. Lidomir hatte ihr erzählt, dass der
Kopfputz und die Zahl dieser Ringe darüber Auskunft gaben, welche Stellung eine
Frau innehatte. Sie beschloss, herauszufinden, was für eine Verzierung ihr
zustand, und sich insgesamt passender einzukleiden, um Teil dieses Volkes zu
sein. Die Frauen trugen zudem alle einen Beutel am Gürtel, in dem vermutlich
die bemalten Eier versteckt waren.
Flötenspieler
ließen heitere Melodien erklingen. Die jungen Leute fassten sich an den Händen
und vollführten fröhliche Kreistänze. Es war wie auf dem Maitanz, bei dem
Radegund Lidomir kennen gelernt hatte.
Die rasante
Musik verlockte zum Tanz, und wie von selbst begann Radegund sich nach dem
Rhythmus zu bewegen.
„Los komm,
tanzen wir!“ Scharka packte entschlossen ihre Hand und führte sie zusammen mit
Tschastawa, Vlasta und Mnata ins Getümmel. Im Feuerschein tauchten unbekannte
Gesichter vor Radegunds Augen auf und verschwanden wieder im Dunkeln. Sie
meinte, Hodka zu erkennen, deren Miene einmal nicht altklug wirkte, und einen
Augenblick lang wirbelte auch Svatava an ihr vorbei. Irgendwann ließ sie
Scharkas Hand los und spürte den Druck fremder Finger, die sie mitrissen. Sie
ließ sich treiben. Ihr Körper hatte einen eigenen Willen, der ihren Verstand
lähmte. Sie staunte, wie sehr ihr dieser Zustand gefiel. Frei wie ein Vogel
flatterte sie als Teil des Schwarms auf der Wiese herum.
Dann schwenkten
die tanzenden Männer mit bunten Bändern geschmückte Zweige, um sie ihrer
Auserwählten zu überreichen. Radegund wollte sich aus der Menge zurückziehen
und stieß dabei mit Mnata zusammen, der seine Zweige zögernd und scheinbar
unschlüssig hoch hielt, doch er sah dabei stets in dieselbe Richtung. Radegunds
Blick folgte dem seinen und erkannte von neuem Scharka, deren Gesicht von den
Flammen erhellt wurde und zu glühen schien. Immer weiter ging es im Kreis
herum. Die tanzende Menge war wie ein einziger Körper, der hüpfte, sich drehte
und die Fersen in den Boden bohrte. Lidomirs Schwester fingerte an ihrem Beutel
herum und zog die bemalten Eier heraus, um sie Mnata entgegenzuhalten. Bei
ihrem Anblick strahlten seine schräg gestellten Augen ungläubig und
ehrfurchtsvoll, als sei ihm hier im Land der Heiden die heilige Jungfrau
erschienen. Kurzzeitig verschwanden die beiden im Dunkel abseits der Feuer,
doch als sie wieder auftauchten, lagen Scharkas zarte Finger auf den Handflächen
Mnatas. Er umschloss sie zögernd.
Um Radegund
herum hatten sich weitere Paare gebildet. Sie musste mehreren Aufforderungen
von Männern ausweichen und sah auf einmal das bemalte Gesicht Vojens vor sich,
der ihr ein paar Zweige entgegenhielt. Seine verkrampfte Miene
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