Die Träume der Libussa (German Edition)
Gemeinschaft ausschließen, Radegund. Ich
hätte mitkommen sollen. Waren einige der Männer aufdringlich? Du bist eine
anziehende Frau und hier bei uns, da ... da nimmt man es mit der Treue nicht so
genau. Wenn eine Frau ohne ihren Gefährten kommt, gehen alle davon aus, dass …
Es war mein Fehler. Wäre ich dabei gewesen, wärest du nicht belästigt worden.“
Wäre er doch
dabei gewesen, dachte Radegund sehnsüchtig. Warum musste ihr das Schicksal
stets so übel mitspielen? Eine unklare Erinnerung stieg in ihr hoch. Jemand
hatte einmal zu ihr gesagt, man könne sein Schicksal manchmal lenken. Doch das
war Unsinn. Wich man einer Falle aus, so tat sich völlig unerwartet eine neue
auf.
„Lidomir, ich
mag diese heidnischen Sitten nicht", sagte sie entschieden. Er runzelte
die Stirn.
„Auch mir ist
vieles fremd geworden. Deshalb wollte ich an dem Fest nicht teilnehmen. Doch
dies sind die Bräuche meiner Heimat, Radegund. Ich kann sie nicht abschaffen.“
Warum tat er
als Sohn der Fürstin immer so machtlos? Ein anderer Mann hätte sich besser
durchzusetzen verstanden. Ein Mann wie Slavonik? Sie schämte sich, dass dieser
Gedanke sich in ihren Kopf geschlichen hatte. Plötzlich hämmerte ihr Herz
wieder wie vorher im Gebüsch.
„Deinen Leuten
fehlt jemand, der ihnen den richtigen Weg zeigt. Sie kennen keine Gesetze der
Moral und des Anstands", rief sie und nahm erschrocken Lidomirs finstere
Miene zur Kenntnis.
„Hier gibt es
durchaus Verhaltensregeln, und meine Mutter wacht sehr streng darüber, dass sie
eingehalten werden. Nur sind sie in manchen Dingen anders als in christlichen
Ländern.“
Radegund
starrte ungläubig. „Es sind die falschen Regeln. Sie erlauben den Menschen,
verderbte Dinge zu tun. Dein Volk braucht Weisungen, Lidomir. Sind noch nie
christliche Missionare hier gewesen?“
Er seufzte.
„Natürlich waren sie hier, doch kaum jemand hörte auf sie. Die Behaimen leben
seit Ewigkeiten nach ihren Bräuchen. Sie sind daran gewöhnt und sehnen sich
nicht nach Veränderung. Was erwartest du denn? Soll das Heer des Frankenkönigs
hier einmarschieren wie bei den Sachsen oder jetzt bei den Awaren?“
Zum ersten Mal
bemerkte sie die Schärfe in seiner Stimme und begann sich zu fürchten. „Aber
genau das könnte vermieden werden, wenn deine Leute ihre heidnischen
Ausschweifungen freiwillig aufgeben", erwiderte sie und war erfreut, dass
ihr Verstand so schnell arbeitete. „König Karl fühlt sich berufen, den
christlichen Glauben überall durchzusetzen. Nähme ein Volk ihn freiwillig an,
dann könnte es einen Angriff vermeiden und seine Unabhängigkeit wahren.“
Lidomir fuhr
sich mir den Fingern durchs Haar. Er sah müde aus. „Meine Mutter wird niemals
freiwillig Christin werden. Diese Religion ist ihr völlig fremd. Onkel Krok
denkt genauso. Die alten Traditionen, der Ahnenkult, das ist sehr wichtig bei
uns. Dagegen kommt niemand so einfach an. Ich hatte dich gewarnt. Dies ist ein
heidnisches Land, und daran wird sich so schnell nichts ändern.“
Erschöpft sank
er auf die Bettstatt. Für ihn schien das Gespräch beendet, denn er streckte
seine Hände nach Radegund aus. In ihr verkrampfte sich alles. Wenigstens diese
Nacht sollte er sie in Frieden lassen. Sie fand einen Krug mit Wasser in der
Zimmerecke. Wäre sie allein, dann könnte sie ihren ganzen Körper gründlich
waschen, doch vor Lidomirs Augen schien es ihr unmöglich. Verkrampft legte sie
sich neben ihn, und er löschte die Fackel. Seine Hand umklammerte die ihre.
Radegund sehnte sich nach einer Zeit der Unschuld zurück.
„Es tut mir vor
allem leid, was ich zu dir gesagt habe", flüsterte er. „Dass du bei dem
Fest Dinge tun könntest, die du vielleicht anschließend bereust. Ich weiß
nicht, was in mich gefahren ist, dich derart zu verdächtigen. Es muss meine Wut
auf diesen hochmütigen Slavonik gewesen sein.“
Ein Messer, das
bereits in Radegunds Brust steckte, wurde durch diese Worte herumgedreht. Wie
lange würde es dauern, bis ihr Gemahl ihre Verdorbenheit bemerkte?
„Lidomir",
begann sie zögernd. „wenn andere, überzeugendere Missionare hierher kämen, würden
sie den christlichen Glauben vielleicht durchsetzen können. Außerdem hätte ich
gern einen Beichtvater.“
„Wir werden
morgen darüber reden", meinte er müde.
„Bitte, lass
uns eine Nachricht nach Regensburg schicken. An Vater Anselm. Er wird geeignete
Leute finden.“
Lidomir wälzte
sich herum. „Ich kann das nicht ohne die Zustimmung meiner
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