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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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auf den Boden starrte. “Kazi sollte sich
deinen Arm ansehen.“
    Er schüttelte
den Kopf und atmete tief durch. „Kazi kümmert sich bereits um meinen Bruder,
der schlimmer dran ist als ich“, fuhr er mit zitternder Stimme fort. „Libussa,
es ist etwas Ungeheures geschehen. Ich glaube, Tyr hat unsere Mutter getötet.
Die Bediensteten fanden sie eines Morgens leblos im Bett. Ihr Kopf war so
seltsam verdreht, als hätte jemand ihr das Genick gebrochen. Dann erschien Tyr
plötzlich im Hof und zerrte eine wimmernde Ludmilla hinter sich her. Die
meisten unserer Krieger waren um ihn versammelt. Er meinte, unsere Mutter habe
ihm ihre Tochter zur Gefährtin gegeben. Deshalb sei er jetzt der Herr über
Zabrusany. Wir konnten nicht mit unserer Schwester sprechen, denn die Krieger
schirmten sie ab. Tyr genoss schon lange großes Ansehehen unter ihnen, weil er
im Zweikampf unbesiegbar ist. Unsere eigenen Männer stellten sie sich gegen
uns, als wir zu den Waffen griffen. Sie sagten, mit Tyr als Herrscher hätten
wir alle Aussicht auf Macht und Reichtum. Vojtan und ich wurden zu Gefangenen,
da wir nicht die angemessene Begeisterung zeigten. Nur die Knechte und Mägde
wirkten bedrückt.“
    Libussas Gedanken drehten sich
wild in ihrem Kopf. Ihr war schwindelig. „Ludmilla kann doch unmöglich
einverstanden gewesen sein, Tyrs Gefährtin zu werden“, murmelte sie verwirrt.
Wieder spürte sie den eisernen Griff des Nordmannes an ihrer Taille und der
Geruch von Schweiß und Met ließ sie würgen. Sie begriff, wie dumm ihre Frage
war. Ludmilla, die sich vor jedem bellenden Hund fürchtete, war jetzt in der
Gewalt dieses Riesen.
    „Wie seid ihr,
Vojtan und du, entkommen?“
    Neklan seufzte.
„Ein paar Tage nach Tyrs Machtergreifung war Ludmilla plötzlich verschwunden.
Tyr ließ jeden Winkel in Zabrusany durchsuchen. Dann den Wald und die Dörfer in
der Umgebung. Er fand sie nicht. Dadurch wurde er immer wütender. Er ging auf
Vojtan und mich los, um die Wahrheit aus uns herauszuprügeln. Aber wir hatten
beide keine Ahnung, wo Ludmilla ist. Erst als Vojtan bewusstlos am Boden lag,
glaubte er uns und jagte uns davon wie Hunde. Wir sollten die Neuigkeit, dass
er nun Herrscher über Zabrusany sei, überall verbreiten, meinte er. Ludmilla
erklärte er für tot. Ich habe eine Botschaft von ihm für dich, Libussa. Er
will, dass du ihn als neuen Fürsten der Lemuzi anerkennst. Weigerst du dich,
gibt es Krieg.“
    Libussa
schüttelte ungläubig den Kopf.
    „Natürlich
erkenne ich ihn nicht an. Hör zu, Neklan. Ich muss eine Nachricht an meinen
Onkel Krok schicken. Er ist im Land der Polanen. Es wird vielleicht ein paar
Wochen dauern. Inzwischen versammeln wir die anderen Stämme. Alle zusammen
werden wir mit diesem Tyr schon fertig. Und vielleicht lebt Ludmilla ja noch.
Sie könnte geflohen sein.“
    Der
hoffnungslose Ausdruck auf Neklans Gesicht war zermürbend.
    „Tyr hat sehr
gute Krieger, Libussa. Seine Nordmänner und unsere, die zu ihm übergelaufen
sind. Angeblich gibt es auch Verbündete. Er sagt, er hätte schon vorher
heimlich Boten zu den Mähren geschickt und um ihre Unterstützung gebeten. Dafür
versprach er ihnen Loyalität. Und was meine Schwester betrifft, ich glaube
nicht, dass sie entkommen konnte. Vielleicht hat Tyr sie versehentlich im Zorn
erschlagen, was er natürlich nicht zugeben will.“
    Libussa
versuchte, sich auf ihre Atmung zu konzentrieren, wie die keltische Priesterin
es sie gelehrt hatte. Nur wer Ruhe fand, konnte eine kluge Entscheidung
treffen. Aber ein neuer Gedanke schlich sich in ihren Kopf und zerstörte jede
Hoffnung auf Ausgeglichenheit.
    „Neklan, dieser
Bauer, mit dem du mich im Wald gesehen hast. Er gilt bei euch als Aufwiegler,
nicht wahr? Ist ihm irgendetwas geschehen?“
    Ihr Atem setzte
aus, als sie auf eine Antwort wartete. Einen Augenblick lang stand wieder Olgas
selbstgefälliger Sohn vor ihr, dessen Blick sie ein unreifes Dummchen nannte.
Aber seine Lage machte es ihm unmöglich, dies auszusprechen.
    „Ich hatte
andere Sorgen als mich um das Schicksal irgendwelcher Bauern zu kümmern. Tyr
hat ihre Hütten durchsuchen lassen. Einige wurden dabei zerstört. Aber ich
glaube nicht, dass es Tote gab. Abgesehen von Ludmilla. Und meiner Mutter.“
Neklan rieb sich die Augen, ein erfolgloser Versuch, Tränen zu verbergen.
    Libussa war
klar, dass sie dies so gut wie möglich übersehen musste. Krieger weinten nicht.
Sie holte Luft und bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen.

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