Die Träume der Libussa (German Edition)
nach
genaueren Aussagen, die ihr einen Grund zur Hoffnung geben konnten.
„Aber was ist,
wenn mein Warten vergeblich ist? Soll ich den Rest meines Lebens so zubringen?“
Die Keltin
senkte den Blick, als habe Libussas Schmerz sie zum ersten Mal wirklich
berührt.
„Als ich ein
junges Mädchen war, in meinem Dorf in den Wäldern“, begann sie leise, „da gab
es auch einen jungen Mann, dem ich zugetan war. Doch die Weisen meines Volkes
wählten mich zur Priesterin. Ich hoffte lange, mein Geliebter würde eines Tages
zu diesem Berg kommen, um nach mir zu sehen. Er tat es nicht. Später erfuhr
ich, dass er sich eine andere Gefährtin gewählt hatte. Wir können versuchen,
unser Schicksal zu lenken, Libussa. Doch am Ende müssen wir uns den Wünschen
der Götter fügen und in ihnen unser Glück finden.“
„Das kann ich
nicht!“, rief Libussa empört und lief aufgebracht fort. Zwei Tage später kam
sie zurück, um sich für ihr Verhalten zu entschuldigen. Die Priesterin schien
Verständnis und Mitgefühl zu empfinden, doch das war kein wirklicher Trost.
Libussa stellte sich danach weiter ihren Aufgaben, ganz wie die Keltin ihr
geraten hatte. Doch sie fühlte sich wie der abgestorbene Ast eines Baumes. Als
Teil eines Ganzen, in dem aber kein Leben mehr war.
Nun ging es um den Fall einer
toten Bäuerin, deren Tochter rechtmäßig das Erbe beanspruchte, um gemeinsam mit
ihren Brüdern den Hof zu bewirtschaften. Der letzte Gefährte der Mutter wollte
ihr Erbrecht anfechten und sprach von neuen Sitten, die ihn zum Herrn im Hause
machten. Niemand nahm den Mann wirklich ernst, denn er galt als Faulpelz und
trank zu viel Met, doch würde man ihn jetzt vor die Tür setzen, bedeutete das
seinen sicheren Tod. Es lag bereits der erste Schnee. Libussa suchte nach einer
Möglichkeit, ihn mit den Kindern seiner verstorbenen Gefährtin zu versöhnen,
damit er auf seine alten Tage ein Auskommen hatte. Vielleicht konnte er eine
eigene Hütte in der Nähe beziehen, doch schien er kaum in der Lage, sich selbst
zu versorgen. Es war aber die einzige Möglichkeit. Die Tochter und auch alle
Söhne hatten sich entschieden gegen seine weitere Gegenwart in ihrem Heim
ausgesprochen. Libussa überlegte, ob Not den Mann nicht einsichtiger machen
würde, damit er schließlich bereit war, sich in sein Schicksal zu fügen und
jene Hilfe anzunehmen, die man ihm bot.
Während sie
darüber nachdachte, fädelte sie braune Wolle ein, um einen neuen Streifen für
Premysls Umhang zu beginnen. Den Gedanken, dass er diesen Umhang womöglich
niemals im Empfang nehmen würde, verdrängte sie bewusst, denn er hätte sie bei
der Ausübung ihrer Pflichten als Fürstin behindert.
Ein Klopfen an
der Tür riss sie aus ihren Grübeleien. Kveta betrat zögernd den Raum. Sie
atmete schnell und sah aus, als sei ihr ein Geist begegnet. „Herrin, du hast
Besuch. Es ist dringend.“
Es schmerzte
Libussa, von jener Frau, die ihr eine Mutter gewesen war, nun als Herrin
bezeichnet zu werden, aber Kveta bestand auf der angemessenen Anrede.
„Wer ist es?“
Leise keimte Hoffnung in ihr auf.
„Neklan von den
Lemuzi“, erklärte eine ungewöhnlich blasse Kveta und führte Olgas Sohn in den
Raum. Bei seinem Anblick glitt der Faden aus Libussas Händen.
Neklans Tunika
war blutbefleckt. Sein rechter Arm baumelte hilflos, als habe er jede
Beherrschung über ihn verloren. Mühsam schleppte er sich herein und sank auf
die Bank, die Kveta ihm hinschob.
„Wir brauchen
Hilfe, Libussa.“
Jede
Selbstsicherheit war aus seiner Stimme verschwunden. Er klang wie ein
verlorenes Kind. Libussa fühlte, dass eine unklare Ahnung sich bestätigte.
„Was ist
geschehen?“ Sie sah, wie Kveta unaufgefordert einen Krug Wasser brachte, den
Neklan sogleich leerte.
„Meine Mutter
ist tot“, murmelte er dann und starrte auf den Boden.
Libussa
erinnerte sich an das runde, lebhafte Gesicht Olgas von den Lemuzi. Eine Nadel
stach in ihr Herz, denn früher einmal war sie dieser Frau sehr zugetan gewesen.
„So plötzlich?
Sie war doch vollkommen gesund, als ihr das letzte Mal hier wart.“
„Es ... es war
...“, Neklans Stimme brach.
„Was war?
Neklan, jetzt rede bitte!“, drängte Libussa. Der große Vogel aus ihren Träumen.
Die Finsternis über dem Land der Lemuzi. Sie begann zu frieren. Was konnte der
klugen, gerissenen Olga widerfahren sein?
„Bist du in
einen Kampf geraten, Neklan?“, fragte sie, verzweifelt um innere Ruhe bemüht,
als ihr Gast weiterhin schweigend
Weitere Kostenlose Bücher