Die Träume der Libussa (German Edition)
sie enttäuscht,
dass nicht Premysls Schwester Magda vor ihr stand, die sie gern wiedergesehen
und in Sicherheit gewusst hätte. Später schämte sie sich wegen dieser
selbstsüchtigen Empfindung, denn für ihr Volk war das Erscheinen einer lebenden
Ludmilla von den Lemuzi weitaus wichtiger.
Zu viert gingen sie in den Hof.
Kazi hatte den Kater wieder Premysl überreicht, um sich Ludmillas anzunehmen.
Nur wenn Menschen krank oder verletzt waren, konnte sie ihnen mehr
Aufmerksamkeit schenken als ihren Tieren. Libussa legte ihren Arm um Premysls
Schulter, so dass er auch die Hälfte ihrer Decke bekam.
„Wie hast du
Ludmilla gerettet?“, murmelte sie fassungslos und gab den Wächtern gleich den
Befehl, die Anführer der Krieger aller Stämme, vor allem aber die Lemuzi-Söhne
zu wecken. Man solle sich auf der Stelle wieder im großen Saal versammeln,
erklärte sie. Die Mägde mussten ebenfalls aufstehen, denn eine heiße Brühe war
nötig. Auf einmal schien es eine leichte, erfreuliche Aufgabe, Entscheidungen
zu treffen. Sie empfand auch keinerlei Erschöpfung mehr.
„Ich habe sie
gar nicht gerettet", beantwortete Premysl ihre Frage. „Sie hat sich selbst
gerettet, indem sie aus dem Fenster ihrer Kammer sprang, wo Tyr sie gefangen
hielt. Wahrscheinlich suchte sie nach einem Weg, um Tyrs nächstem Besuch auf
ihrer Bettstatt zu entgehen und danach landete sie verletzt im Hof von
Zabrusany. Es war mitten in der Nacht. Nur die Wächter merkten es, aber sie
weckten Tyr nicht. Stattdessen öffneten sie das Tor einen Spaltbreit, damit
Ludmilla hinauskriechen konnte. Sie schaffte es gerade noch bis in den Wald.
Dort wäre sie wahrscheinlich gestorben oder bald von Tyr gefunden worden, aber
eine keltische Kräutersammlerin entdeckte sie in der Morgendämmerung. Die
Kelten kümmerten sich um Ludmilla, bis ihnen Tyrs Suchtrupps auffielen. Einige
von ihnen kennen mich und brachten Ludmilla zu mir, denn es schien ihnen
gefährlich, ein gejagtes Mädchen weiter bei sich zu verbergen.“
Als das Tor
sich hinter ihnen geschlossen hatte, ließ er den Kater laufen. Libussa drängte
sich statt des Tieres in seine Arme.
„Ihr könnt euch
beide erst einmal aufwärmen“, sagte sie. „Aber dann musst du deine Geschichte
gleich allen Kriegern erzählen. Die Lage ist jetzt völlig anders. Anschließend
sollte ich dich wohl erst einmal eine Weile schlafen lassen, auch wenn es mir
schwer fallen wird.“ Sie schmiegte sich mit ihrem Körper an den seinen und
stellte mit Befremden fest, dass er erstarrte.
„Libussa“,
meinte er leise. „Ich kann nicht bleiben. Ich muss noch heute Nacht wieder
zurück. Es war fast unmöglich, mich und Ludmilla aus dem Gebiet der Lemuzi zu
schmuggeln, denn alle Dörfer werden bewacht. Ein fahrender Händler half uns
schließlich. Er versteckte uns auf seinem Karren. Aber Tyr lässt immer noch
regelmäßig die Gegend absuchen. Wenn jemand merkt, dass ich verschwunden bin,
wird er seine Wut an meiner Mutter und Schwester auslassen, für die auf dem
Karren kein Platz mehr war. Wir Bauern gelten jetzt als sein Eigentum und
können nicht ungestraft das Weite suchen.“
Sie stand wie
versteinert. Das Gefühl von Leichtigkeit und Freude war verflogen.
„Es tut mir
Leid. Manche Dinge lassen sich nicht ändern.“
Seine Hände
strichen über ihr Haar. Sie trat einen Schritt zurück, denn sie hatte das
Gefühl, wie ein kleines Kind getröstet zu werden. Nachdem sie all die Zeit
gewartet hatte, war er gekommen, um sich gleich wieder zu verabschieden.
Vielleicht war das alles eine Ausrede. Er wollte nicht in Chrasten bleiben.
Ludmilla hierher zu bringen hielt er für seine Pflicht, doch jetzt drängte es
ihn, so schnell wie möglich wieder zu verschwinden, bevor sie Erklärungen
verlangen konnte. Libussas Mutter hatte oft gesagt, dass Männer nicht gern
viele Worte bei Trennungen verloren.
Sie kämpfte
mühsam die Tränen der Enttäuschung nieder.
„Nun gut, dann
musst du wieder gehen. Iss wenigstens eine Brühe und wärme dich auf. Wir geben
dir ein Pferd, damit du schneller nach Hause kommst. Lass es laufen, bevor du
Staditz erreichst, damit Tyrs Männer es nicht sehen. Es wird hoffentlich von
allein zurückfinden.“
Sie war stolz
auf den ruhigen Klang ihrer Stimme, die sich nur ein wenig heiser anhörte.
„Kazi hat mir
erzählt, dass du Krieger versammelt hast", meinte Premysl mit gesenktem
Blick. „Du willst vermutlich gegen Tyr vorgehen. Ich habe eine Idee, wie es dir
am Besten gelingen
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