Die Träume der Libussa (German Edition)
könnte, aber mir bleibt nicht viel Zeit für lange
Gespräche.“
Die erneute
Ankündigung seines baldigen Aufbruchs schmerzte wie eine Ohrfeige. Er konnte es
wohl kaum erwarten wieder aus Chrasten zu verschwinden.
„In diesem
Fall“, erklärte sie eisig, „redest du besser sogleich vor allen Kriegern im
großen Saal.“
Dann ging sie
schweigend vor ihm her. Eine leise Stimme in ihrem Inneren flüsterte, dass sie
sich wie ein trotziges Kind benahm, doch sie klammerte sich an ihren Zorn. Er
war leichter zu ertragen als der Abschiedsschmerz.
Die wichtigsten Gäste hatten sich
bereits versammelt. Ein schlecht gelaunter Slavonik saß mit schläfrig
verquollenen Augen an der Seite Hostivits, des Zlicany-Fürsten. Radka
überreichte ihrem Bruder Lecho eine Schale mit der Brühe, während Neklan dem
erschöpft neben ihm ruhenden Vojtan etwas ins Ohr flüsterte. Auch Thetka war
gekommen. Trotz ihres zornigen Schweigens wollte sie wohl keine wichtigen
Neuigkeiten versäumen.
Libussa nahm
erneut ihren Platz am Kopfende der Tafel ein.
„Soeben ist
jemand aus dem Gebiet der Lemuzi eingetroffen", verkündete sie so laut wie
möglich. „Er hat Ludmilla mitgebracht. Sie lebt und wird gerade von meiner
Schwester versorgt. Im Moment braucht sie Ruhe, aber in ein paar Tagen wird sie
sicher in der Lage sein, hier zu erscheinen.“
Sie richtete
ihren Blick auf die fassungslosen Gesichter der Lemuzi-Brüder. Nur Vojtan
wirkte wirklich erfreut.
„Wo ist sie?
Wann können wir sie sehen?“, rief er.
„Sobald ich die
Versammlung aufgelöst habe. Zuerst gibt es wichtige Dinge zu besprechen.“
Libussa stellte
erstaunt fest, dass Premysls Gegenwart es ihr leichter machte, entschieden
aufzutreten.
„Dies ist Premysl aus Staditz,
einem Dorf auf dem Gebiet der Lemuzi. Ihm haben wir Ludmillas Rettung zu
verdanken. Und nun möchte er uns etwas sagen.“ Sie gab Premysl ein Zeichen und
ließ ihn vor die versammelten Krieger und Mitglieder der Fürstenclans treten.
Erst jetzt bemerkte sie, wie stark seine sackartige Kleidung aus grobem braunem
Leinen sich von den bunt gefärbten, mit silbernen Fibeln versehenen Tunikas der
meisten Anwesenden unterschied. Trotz der Kälte steckten seine Füße in
Bastschuhen, die mit Tüchern umwickelt waren. Auf seinen Armen wurde das Fehlen
jener Tätowierungen, die einen Krieger von Rang und Namen auszeichneten, jedem
sehr deutlich bewusst.
Ein Bauer! Sie
las dieses Wort in jedem Blick. Lecho und einige andere Krieger schienen
einfach nur überrascht. Slavonik grinste abfällig. „Sieh an, ein alter
Bekannter!“, kam es spöttisch von den Lemuzi-Brüdern.
Premysl holte
entschlossen Luft. Sie sah, wie er die Hände zu Fäusten ballte. „Ich komme aus
dem Gebiet, das nun von Tyr beherrscht wird", begann er. „Ich habe
Ludmilla hergebracht. Sie hat es geschafft zu entkommen.“
Libussa schien,
dass er bei diesen Worten Vojtan und Neklan in die Augen blickte.
„Ich weiß, dass
ihr plant, gegen Tyr vorzugehen. Das ist vollkommen richtig, denn Tyr wird
sicher versuchen, auch andere Stämme zu unterwerfen. Er strebt nach
grenzenloser Macht und muss aufgehalten werden.“
„Na, das ist ja
ein kluges Bürschchen, dieser Bauer!“, unterbrach Slavonik plötzlich. „Wir
sollten stolz sein, dass er unser Tun für richtig hält.“
Libussa hörte
mit Erschrecken einige Lacher, doch Radkas laute Stimme fuhr dazwischen: „Jetzt
lasst ihn doch ausreden, ihr Wichtigtuer!“
Das Lachen
verstummte.
„Ich habe einen
Vorschlag, wie ihr Tyr stürzen könntet, ohne dass ihr gegen ihn kämpft.“
Erstaunte,
misstrauische Blicke richteten sich auf Premysl.
„Sollen wir
stattdessen Schweine und Ochsen in die Schlacht schicken?“, kam es aus den
hinteren Reihen und der Saal füllte sich wieder mit grölendem Gelächter.
Libussa sprang auf und hob den Stab der Fürstin.
„Es ist mein
Wunsch, dass ihr diesen Mann anhört!“ Ihre Stimme war weitaus schwächer als
Radkas, aber allmählich kehrte wieder Ruhe ein.
„Tyr hat sich
in kurzer Zeit sehr viele Feinde gemacht“, fuhr Premysl nun fort. „Er gewann
die Krieger der Lemuzi für sich, indem er ihnen Versprechungen machte, von
denen er bisher aber kaum eine gehalten hat. Man fürchtet ihn, doch er ist auch
verhasst. Deshalb gaben die Wächter in Zabrusany Ludmilla eine Gelegenheit zur
Flucht. Die Bauern werden sich gegen ihn stellen, sobald sie die geringste
Hoffnung auf einen Sieg haben, ebenso wie die Kelten in den Wäldern, von denen
er
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