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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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aber sie wusste nicht, ob Premysl ihn jemals in Empfang nehmen würde.
Auf einmal erklang Ludmillas Stimme, die durch Mangel an Gebrauch heiser
geworden war: „Wünschst du dir manchmal, ein anderer Mensch zu sein?“
    Libussa hörte
das Klopfen ihres eigenen Herzens. Endlich sprach die Lemuzi-Tochter!
    „Manchmal
wünscht sich das wohl jeder. Warum fragst du?“, erwiderte sie.
    „Weil ich es
mir mein Leben lang jeden Tag gewünscht habe. Ich wollte eine Tochter sein, die
ihrer Mutter gefällt. Aber das ist mir nicht gelungen. Tyr sagte mir aber, er
musste meine Mutter töten, weil sie nicht damit einverstanden war, dass er mich
zu seinem Weib machte. Also muss meine Mutter mich doch ein wenig geliebt
haben, meinst du nicht?“
    Libussa nickte.
    „Ich hatte mein
Leben lang Angst, ihr zu missfallen", fuhr Ludmilla fort. „Niemals konnte
ich es ihr recht machen. Sie fand ständig etwas an mir auszusetzen.“
    „Dieses Gefühl
kenne ich sehr gut", erklärte Libussa. Sie dachte an die strengen,
unzufriedenen Blicke der Fürstin Scharka, aber auch an Premysls verhärmte alte
Mutter, deren Augen beim Anblick ihres Sohnes stolz aufleuchteten. Vielleicht
war dies der Vorteil von Kindern, die ihre Eltern versorgten anstatt stets von
ihnen beaufsichtigt und behütet zu sein. Aber sie sah keinen Sinn darin, diesen
Gedanken Ludmilla mitzuteilen.
     
    „Ich bin mir
sicher, dass deine Mutter dich von Herzen geliebt hat“, sagte Libussa nur.
„Aber sie hat dich einfach nicht verstanden. Ihr wart zu verschieden.“
    Kazi hatte
Ludmilla mehrfach mit einem scheuen Vogel verglichen, den Olga durch Schreien
und Schimpfen zähmen wollte. Doch auf diese Weise konnte es nicht gelingen.
Vielleicht wollte Olga ihre Tochter durch Härte stark machen. Sie war zu
starrköpfig gewesen, um je zu begreifen, wo ihr Fehler lag. Jetzt, da Ludmilla
endlich sprach, glaubte Libussa, der Vogel sei plötzlich auf ihren Finger
geflattert. Sie hatte Angst, ihn wieder zu verschrecken.
    „Sag mir, Libussa,
hast du dich je gefragt, wer dein Vater ist?“
    Sie musterte
die Lemuzi-Tochter staunend. Woher kam ihr plötzlich dieser Gedanke? Väter
waren doch nicht wichtig.
    „Ich hatte
immer Onkel Krok, der sich um mich kümmerte. Mein Vater muss eine flüchtige Liebschaft
meiner Mutter gewesen sein. Ich habe mich nie mit ihm beschäftigt.“
    „Vielleicht“,
meinte Ludmilla leise „wäre es anders gewesen, wenn du ihn je getroffen
hättest. Man spürt, dass ein Mensch vom selben Blut ist. Bei anderen Völkern,
den Christen vor allem, sind Väter wichtig. Sie haben angeblich die Sitten der
Römer übernommen. Die Kinder wachsen beim Vater auf.“
    „Nicht alle,
wie ich gehört habe. Manche Väter erkennen ihren Nachwuchs nicht an. Dann sieht
es übel für die Kinder aus, und auch für deren Mütter.“
    Libussa legte
den fertigen Umhang zusammen und überlegte, ob sie Ludmilla vorschlagen sollte,
diesmal mit in den großen Saal zu gehen. Das Mädchen schien seltsamen Gedanken
nachzuhängen. Zu viel Einsamkeit konnte nicht heilsam sein nach so schrecklichen
Erlebnissen. Warum zeigte sie keinerlei Neugierde, was in der Zwischenzeit
geschehen war und wie man gegen Tyr vorgehen wollte?
    „Ich habe
meinen Vater manchmal getroffen", spann Ludmilla ihre Gedanken weiter. Bei
einer anderen Gesprächspartnerin hätte Libussa die Unterhaltung bald mit einer
Entschuldigung beendet, denn sie fand, dass es nun wichtigere Dinge gab, über
die man sich den Kopf zerbrechen sollte. Doch Ludmilla bedurfte zarterer
Behandlung.
      „Wer war
dein Vater?“, fragte sie daher.
    „Einer der
Germanen. Er wollte als Druide ausgebildet werden, aber die meisten Druiden
hatten unsere Gegend bereits verlassen. Deshalb zog er über die Berge nach
Westen. Doch viele Jahre kehrte er noch manchmal hierher zurück und besuchte
mich heimlich. Er fürchtete, meine Mutter durch sein Fortgehen zu sehr gekränkt
zu haben, um noch in Zabrusany willkommen zu sein. Aber er traf sich mit mir
außerhalb der Mauern. Es freute ihn, dass er eine Tochter hatte.“ 
    Libussa nickte
und merkte, dass sie allmählich doch neugierig wurde. Es passte gut zu Olga von
den Lemuzi, einem Liebhaber die Tür zu weisen, weil sie für ihn nicht das
Wichtigste im Leben war. Ludmillas Geschichte konnte durchaus der Wahrheit
entsprechen.
    „Und wie gefiel
dir dein Vater?“
    Ein zartes
Lächeln erschien auf Ludmillas Gesicht. Sie sah beinahe glücklich aus.
    „Er gefiel mir
sehr. Ein sanfter, freundlicher

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