Die Träume der Libussa (German Edition)
die Gefahr, dass Ludmilla
bis an ihr Lebensende humpeln würde.
„Einmal, da
kamen Tyrs Männer in die Hütte. Ich hörte ihr Brüllen und das Stampfen ihrer
Stiefel. Premysl hatte das Loch abgedeckt und noch Erde über die Bretter
geschüttet, als er merkte, dass die Suchtrupps anrückten. Ich fürchtete zu
ersticken. Seine Schwester schrie. Ich glaube, die Männer haben sie geschlagen,
weil sie nicht begriff, was vor sich ging, und sich deshalb falsch verhielt.
Jeden Lidschlag lang rechnete ich damit, dass sie mich aus dem Versteck zerren
würden. Ich schwor mir damals, sollte ich diese Gefahr überleben, dann würde es
in meinem Leben nur noch darum gehen, was ich selbst mir wünsche.“
Libussa
verstand, ohne es zu wollen. Vielleicht hatten die Götter Ludmilla gerettet.
Aber warum schickten eben diese Götter ihr Tyr? Der Schrecken schien das
Mädchen stärker gemacht zu haben. Dann war ihre neue Entschlossenheit
allerdings auch eine Folge göttlicher Fügungen.
„Und was
wünscht du dir, Ludmilla?“
„Ich möchte
meinen Vater suchen. Ich will zu ihm, dem einzigen Menschen, der mich liebte,
so wie ich bin.“
Libussa sank
wieder auf ihren Schemel. Sie hatte plötzlich den Wunsch, Ludmilla zu umarmen,
wagte es aber nicht.
„Dein Vater
ging vor vielen Jahren fort. Du weißt nicht, wo er ist", meinte sie nur.
„Es kann nicht
mehr viele Zentren der Druiden geben in einer Welt, die von Christen beherrscht
wird. Ich werde mich durchfragen.“
„Aber das kann
gefährlich sein. Wie willst du allein reisen?“
Ludmilla stand
langsam auf.
„Ich habe
bereits mit meinen Brüdern gesprochen. Wenn ich ihnen die Herrschaft über
Zabrusany lasse, dann geben sie mir den Schmuck unserer Mutter. Damit kann ich
eine Weile überleben. Vielleicht finden sich ein oder zwei treue Krieger, die
mich begleiten. Ich reise los, sobald deine Schwester Thetka aus Zabrusany
zurückkommt. Egal, wie es ausgeht. Auch wenn ich den Schmuck nicht bekommen
sollte, weil Tyr gewinnt. Ich will zu meinem Vater.“
Libussa begann
zu überlegen, was sie Ludmilla in diesem Fall an Wertgegenständen mitgeben
könnte. Und welche Krieger mit auf die Reise gehen würden. Es gab einige junge
Männer, die für ein Abenteuer in der Fremde vielleicht zu begeistern waren.
Dann schlich sich ein unschöner Gedanke in ihren Kopf, und sie zwang sich, ihn
auszusprechen.
„Dein Vater
ging vor vielen Jahren fort. Was ist, wenn er dich nicht mehr bei sich haben
will?“
Zu ihrem
Erstaunen kam Ludmilla auf sie zu und strich ihr mit der Hand über die Wange.
„Du machst dir
um jeden Sorgen“, sagte sie sanft. „Das hältst du wohl für deine Pflicht,
jetzt, da du Fürstin bist. Aber ich weiß, dass mir so etwas geschehen kann.
Dann habe ich es wenigstens versucht und sehe, woran ich bin. Libussa, Premysl
sprach manchmal mit mir, als ich allein im Dunkeln lag. Er wollte mich
ablenken. Deshalb erzählte er mir von dir. Dass du zu ihm gekommen bist, ohne
deinen Namen zu nennen. Und wie es zu diesem Zwischenfall im Wald kam, wo du
gekämpft hast, um ihm zu helfen. Er liebt dich. Du hast mehr Glück, als du
ahnst, denn er ist kein Mann wie Tyr. Komme nie auf den Gedanken, du müsstest
aus Pflichtgefühl auf ihn verzichten. Ganz gleich, was man dir erzählt. Und
jetzt lass mich allein. Geh zurück in den großen Saal zu den Kriegern, wie du
es als Fürstin tun solltest. Ich lege keinen Wert auf die Gesellschaft dieser
Männer. Bitte verzeih mir, aber ich möchte mich zurückziehen.“
Ihre schmale
Gestalt verschwand aus dem Raum. Libussa blieb eine Weile regungslos sitzen. Er
liebt dich, hatte Ludmilla gesagt. Premysl hatte mit Olgas Tochter über sie
gesprochen. Ihr letzter Zweifel an seinen Gefühlen schwand, und sie schämte
sich, bei seinem kurzen Besuch in Chrasten so kalt, so zornig gewesen zu sein.
Sobald Tyr gestürzt war, würde er zu ihr kommen. Der Augenblick des Glücks war
berauschend, auch wenn bald darauf wieder quälende Unsicherheit einsetzte. Wie
war es Thetka wohl in der Zwischenzeit ergangen? Bestand Hoffnung, dass bald
wieder Frieden einkehrte, so dass die Schwester zusammen mit Premysl nach
Chrasten kommen konnte? Lange war es Libussa gelungen, die Angst vor einer
Niederlage gegen Tyr aus ihrem Denken zu verbannen, aber nun wurde sie von ihr
überfallen wie von einem wilden Tier. Erst die Erinnerung an ihre Aufgaben half
ihr, sich zusammenzureißen. Sie machte sich auf den Weg in den großen Saal. Die
meisten Leute mussten
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