Die Träume der Libussa (German Edition)
Plan
auszuführen war einfacher gewesen als erwartet. Die meisten Anwesenden schienen
erstaunt über ihren Vorschlag, doch wagten sie nicht, eine göttliche
Entscheidung abzulehnen. Als Slavonik Bedenken äußerte, ob es vernünftig sei,
auf diese Weise den Gefährten einer Fürstin zu wählen, wies seine tief gläubige
Mutter ihn vor allen Leuten zurecht.
Hostivit von
den Zlicany schwieg, wenn auch mit einem abfälligen Grinsen. Vermutlich dachte
er, dass nur ein unreifes Mädchen auf so eine Idee kommen konnte.
Allein Neklan
wagte es, den Verdacht zu äußern, Libussa plane einen Betrug. Thetka setzte
sofort zu empörten Protesten an und brachte die meisten der Anwesenden auf ihre
Seite.
Einige Tage
später teilte ihr Kazi, die wie verabredet nach Staditz geritten war, mit, dass
Premysl bereit war, zu kommen. Libussa fühlte sich von ihrer größten Sorge
befreit. Zwar hatte sie nicht mehr an Premysls Gefühlen gezweifelt, aber es war
möglich, dass er einen solchen Betrug ablehnen würde. Doch auch er erkannte die
Notwendigkeit. Jetzt musste sie nur noch warten. Wieder einmal warten.
Sie trafen kurz vor
Sonnenuntergang ein. Umringt von Libussas Gesandten ritt Premysl auf Steka, der
weißen Stute. Es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, sich im Sattel zu halten,
obwohl er kaum Übung darin haben konnte. Man hatte ihm zum Anziehen eine bunte,
verzierte Tunika und den wollenen Umhang gebracht, den Libussa für ihn gewebt
hatte, und darüber trug er Biberfelle, die ihn wärmten. Er sah nun nicht mehr
aus wie ein Bauer. Nur seine Füße steckten noch immer in den mit Tuch
umwickelten Bastschuhen. Libussa erkannte mit Schrecken, dass sie nicht an
Stiefel gedacht hatte.
Libussa gab den
versammelten Schamanen ein Zeichen, mit dem Gesang zu beginnen, und ihre
hellen, klaren Männerstimmen füllten die eisige Luft. Sie stimmte ein und erhob
sich, um die Gesandtschaft von ihrem Gerüst aus zu begrüßen.
„Das ist
unglaublich!“, hörte sie Neklan rufen und sang lauter, um seine Stimme zu
übertönen.
„Wer bei
allen Göttern ist dieser Mann?“, kam es nun von Slavonik.
„Der
Auserwählte der Götter, den wir zu unserer Fürstin und Hohen Priesterin
bringen“, antwortete Bohumil, sichtlich verärgert über die Störung der Zeremonie.
„Aber
das ist ein Bauer aus einem unserer Dörfer“, warf nun auch Vojtan von den
Lemuzi ein. Er schien eher verwirrt als zornig.
„Die
Wünsche der Götter mögen uns unverständlich scheinen, doch müssen wir uns ihnen
fügen“, erklärte Bohumil entschieden. „Manchmal erwählen sie Menschen einfacher
Abkunft für wichtige Aufgaben.“
Alle
Anwesenden verstanden seine Anspielung. Die meisten der Schamanen stammten aus
dem Volk. Wenn sie durch seherische Begabung oder andere herausragende
Fähigkeiten auffielen, brachten ihre Familie diese Jungen zur Hohen Priesterin,
die entschied, ob sie in ihrem Gefolge Aufnahme fanden. Obwohl der höchste
Dienst an den Göttern in den Händen einer Frau lag, sollten ihr Männer ihrer
Wahl dabei zur Seite stehen.
Bohumils
Worte brachten Vojtan zum Schweigen. Der Schamane führte Steka zu dem Gerüst.
Libussa sah das spöttische Aufblitzen in Premysls Augen, doch als er vor ihr
ankam, senkte er verlegen den Blick. Sie spürte das Gewicht der Silberohrringe.
Zahlreiche Ketten aus demselben Material, mit Bernstein besetzt, hingen um
ihren Hals. Nie zuvor hatte er sie als Hohepriesterin gesehen.
„Sei gegrüßt,
mein Auserwählter. Die Götter schicken dich“, sagte sie aufmunternd.
„Was bist du?
Eine der Götterfiguren? Das alles hier kommt mir so unglaublich albern vor“,
flüsterte er.
„Weil du ein
ewiger Zweifler bist, der Rituale nicht ernst nimmt“, erwiderte sie mit ebenso
leiser Stimme. „Jetzt hole mich endlich von dem Gerüst. Nimm das Schwert, das
dir der Schamane reicht, und schwinge es über meinem Kopf. Sprich seine Worte
nach. Schwöre mir Treue und Schutz. Wenn du noch länger wartest, bin ich ein
Eiszapfen.“
Premysl tat,
was sie verlangte, auch wenn er sich dabei sichtlich unwohl fühlte. Libussa hob
die Tonscheibe der hohen Priesterin. „Ich erfülle den Wunsch der Götter und
vereine mich mit dir.“
„Das ist nicht
der Wunsch der Götter“, hörte sie plötzlich Neklan rufen. „Das ist allein
Libussas Wunsch. Sie kennt diesen Jungen. Regelmäßig hat sie sich zu ihm
geschlichen wie eine läufige Hündin. Deshalb konnte sie das Dorf so
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