Die Träume der Libussa (German Edition)
genau
beschreiben!“
Erschrocken
hörte Libussa das verwirrte Murmeln der Anwesenden.
„Ist das
wahr?“, zischte die Leitmeritzer-Fürstin, wohl immer noch verärgert, einst von
Libussa zurechtgewiesen worden zu sein.
„Libussa ist
Hohe Priesterin, irdische Vertreterin der Sonnengöttin Mokosch. Wer kann es
wagen, ihr Urteil in Frage zu stellen?“, erwiderte Thetka lautstark, doch die
Gesichter blieben misstrauisch.
„Diesen Bauern
haben wir doch schon einmal gesehen“, mischte sich Slavonik wieder ein. „Er
sprach im großen Saal. Libussa muss ihn kennen.“
Das
Stimmengewirr wurde lauter. Mehrere der Anwesenden hatten Premysl erkannt und
begannen wild durcheinander zu reden. Selbst einige Schamanen wandten sich
stirnrunzelnd von dem Gerüst ab. Neklan und die Leitmeritzer-Fürstin
wetteiferten miteinander, um von Betrug und Täuschung zu erzählen, während
Slavonik Libussa mit einem höhnischen Grinsen betrachtete. Sie fühlte das
Hämmern ihres Herzens. Wie hatte sie jemals hoffen können, ein heiliges Ritual
ungestraft zu missbrauchen? Ihr wurde schwindelig. Sie sah, wie Kazi
unauffällig an Bohumil herantrat und mit ihm zu flüstern begann.
„Rede, Tochter
der Sonne“, drang die Stimme des ältesten Schamanen gleich darauf durch den
allgemeinen Aufruhr. „Sage uns, was dein Auserwählter tat, als wir bei ihm
eintrafen?“
Libussas Atem
setzte aus. Sie warf Premysl einen hilflosen Blick zu, doch er schien sich
ebenso verloren zu fühlen wie sie selbst. Kazi hingegen lächelte aufmunternd.
„Gönnt ihr einen
Augenblick der Ruhe“, ermahnte sie die Anwesenden. „Sie muss die Augen
schließen.“
Libussa folgte
der Aufforderung. Es war erleichternd, die aufgebrachte Menschenmenge nicht
mehr sehen zu müssen. Ihr Atem wurde ruhiger und sie meinte, eine leise Melodie
zu hören.
Dann tauchten
die Hütten von Staditz vor ihr auf. Sie sah Premysl beide Ochsen in den Stall
führen und Stekas weißes Fell im dunklen Wald aufleuchten. Bald schon erschien
Libussas Stute auf der Wiese vor den Hütten, gefolgt von den Pferden Bohumils
und denen der Krieger. Premysl musste ihr Kommen bemerkt haben, denn er wandte
sich um. In diesem Augenblick begannen die Ochsen zu laufen, offenbar
erschrocken über die Fremdlinge, jagten über die Wiese und verschwanden hinter
einem großen Felsen am Waldrand, als habe die Erde sie verschluckt. Premysl
blickte ihnen verärgert hinterher, bevor er die Gesandten begrüßte. Er warf
einen Ast, den er in der Hand hielt, auf den Boden. Dann ging er auf Bohumil
und die Krieger zu. Doch der Ast bohrte sich in die winterliche Erde und wuchs
zu einem Strauch heran.
„Sei gegrüßt,
Fremder. Wir kommen, dich als Auserwählten der Götter zu unserer Fürstin und
Hohenpriesterin zu holen“, erklärte Bohumil feierlich.
Premysl nickte
und schien mühsam ein Lachen zu unterdrücken.
„Ich habe eurer
Kommen bereits im Traum gesehen“, sagte er so ernsthaft, wie ihm möglich war.
„Ich bin bereit, den Wunsch der Götter zu erfüllen. Doch hätte sich eure Herrin
ein klein wenig geduldet, dann wäre es mir möglich gewesen, meine Arbeit hier noch
zu Ende zu bringen.“
Falls Bohumil
den spöttischen Unterton wahrnahm, so zeigte er es nicht. Stattdessen deutete
er auf den wachsenden Strauch hinter Premysls Rücken.
„Aus deiner
Verbindung mit unserer Fürstin werden viele Nachkommen entstehen und unser Volk
groß machen“, erklärte er feierlich.
Premysl drehte
sich um und musterte fassungslos das neu aufgetauchte Gewächs. Unter seinem
Blick begannen einige Zweige zu verdorren. Er runzelte die Stirn.
„Ich begreife
nicht, was das bedeutet, Herr. Doch mir scheint, einige werden groß werden,
während andere verkümmern“, erwiderte er nachdenklich, bevor er auf Steka
zuging und sich in den Sattel schwang. Dann begann das Bild zu verschwimmen.
Zögernd
erzählte Libussa, was sie gesehen hatte, und musterte dabei Kazis weises,
altersloses Gesicht. Ihr war nie klar gewesen, wie sehr die Schwester ihren
seherischen Fähigkeiten vertraute. Sie musste gewusst haben, dass Libussa in
der Lage war, die Ereignisse richtig zu beschreiben. Bohumil nickte
anerkennend.
„Es war so, wie
sie sagte“, erklärte er laut. Meine Begleiter können es bezeugen. „Aus der
frostigen Wintererde wuchs ein Strauch heran. Und unsere Hohe Priesterin sah
es, ohne selbst dabei gewesen zu sein, denn die Götter zeigten ihr den
Auserwählten.“
Nun kam kein
Widerspruch mehr, selbst Neklan schwieg
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