Die Träume der Libussa (German Edition)
Gefährten
unserer Fürstinnen immer Söhne anderer Fürstinnen oder wenigstens Krieger.“
Libussa senkte
den Kopf. Jenes Gefühl von Triumph, das sie vorhin bei Neklans Anblick
überkommen hatte, war verflogen. Sie erinnerte sich, wie Ludmilla sie kurz
ansah, als sie den Saal verließ und den Weg in ihre sichere Kammer einschlug.
„Ich habe dich gewarnt“, hatten ihre Augen gesagt.
„Ich möchte
Fehden verhindern“, erklärte Libussa nun mit heiserer Stimme. „Aber wie kann
ich das? Ich werde auf keinen Fall ihren Wunsch erfüllen und Slavonik wählen.“
„Zeig ihnen die
Zähne“, meinte Thetka, doch Kazi schüttelte den Kopf.
„Mit Sturheit
lassen sich nicht alle Schwierigkeiten aus der Welt schaffen. Wir müssen uns
etwas überlegen.“
Kazi nahm einen
weiteren Schluck Wasser. Sie trank nur sehr selten Wein oder Met.
„Es gab da so
ein altes Ritual. Die Kräutersammlerinnen der Kelten erzählen manchmal davon.
Wahrscheinlich war es auch bei unseren Leuten einmal verbreitet, aber das muss
lange her sein. Jedenfalls vermählte eine Königin oder Fürstin sich mit einem
Mann aus dem Volk. Jedes Jahr von Neuem. Dabei nahm dieser Mann die Gestalt
eines Hirsches an. Er musste sich zu der Mutter des Landes durchkämpfen und
dabei einige Gefahren bestehen, damit er ihrer würdig war. Anschließend
vollzogen beide die heilige Hochzeit, so wie Jarilo und Morana beim
Kupala-Fest. Irgendwie hängt das alles zusammen, glaube ich.“
„Was soll all
dieser Humbug mit alten Ritualen?“, murrte Thetka ungeduldig, „Ich habe einmal
eine andere Geschichte gehört – von meiner Magd, die Langobardin ist, so wie
die meisten der, die hier noch leben. Da jagte jedes Jahr eine graue Göttin
einen jungen Mann in der Gestalt eines Hasen. Doch nachdem sie mit ihm die
heilige Hochzeit vollzogen hatte, machte sie dem armen Häschen den Garaus.“
Kazi nickte.
„Ja, so ähnlich hat man es mir auch erzählt. Der Jüngling wurde am Ende des
Winters geopfert. Er starb, damit das Land neu erblühen konnte. Das Ritual
wurde dann erneut veranstaltet und die Königin fand einen weiteren Gefährten.
Unsere Morana tötet Jarilo ja auch immer wieder. Wahrscheinlich wurde dieses
Ritual allmählich abgeschafft, weil die Herrscherinnen Gefallen an ihren
Hirschen oder Hasen fanden und sie verschonen wollten.“
„Das müssen
Frauen wie du gewesen sein, Kazi, wenn sie ihre Tiere derart liebten“, meinte
Thetka kichernd.
Libussa
verstand nicht, warum ihre beiden Schwestern solche Geschichten lustig fanden.
„Dieses Ritual klingt grausam“, murmelte sie.
„Der Jüngling
starb freiwillig zum Wohl seines Volkes“, erklärte Kazi. „Soll der Gottessohn
der Christen nicht etwas Ähnliches getan haben? Er scheint mir gar nicht einmal
so neu, dieser christliche Glaube.“
„Darum geht es
jetzt doch nicht! Wozu dieses Gerede über irgendwelche Rituale und den
Christengott? Soll Libussa sich mit einem Hirsch oder Hasen vermählen?“ Thetka
lachte wieder, doch in Libussa stieg langsam eine Ahnung auf.
„Ein Mann aus dem
Volk kam zu der Königin. Ich erinnere mich an solche Geschichten“, sagte sie.
„Aber wir vollziehen dieses Ritual nicht, Kazi. Wenn wir es einmal taten, dann
vor sehr langer Zeit.“
„In einer
schwierigen Lage muss man manchmal auf alte Traditionen zurückgreifen“,
erwiderte ihre älteste Schwester
Nun wurde
Thetka hellhörig.
„Ja, das könnte
eine gute Idee sein“, begann sie. „Aber wie im Namen aller Götter soll Premysl
sich in einen Hasen oder Hirsch verwandeln, der sich zu Libussa durchkämpft? Er
kennt das Ritual wahrscheinlich gar nicht.“ Auf Kazis Gesicht erschien ein
Lächeln. „Ich habe noch von einer dritten Art dieses Rituals gehört“, sagte
sie. „Da wurde ein Pferd losgeschickt, das die Gefolgschaft einer Hohen
Priesterin zu dem von den Göttern auserwählten Jüngling führte. Meinst du
nicht, dass Steka den Weg nach Staditz allmählich kennen sollte, Libussa?“
Libussas
Gedanken wirbelten durcheinander. „Es ist eine lange Strecke. Ich habe einen
ganzen Tag dazu gebraucht, manchmal auch länger, wenn Steka müde war. Ich bin
immer schon kurz vor dem Morgengrauen aufgebrochen. Ja, ich denke, sie kennt
den Weg, aber was ist, wenn sie sich trotzdem verläuft?“
„Dann bin ich
gespannt, mit wem deine Gesandten dann hier ankommen“, meinte Thetka grinsend.
Als aber ihre Schwestern diese Vorstellung nicht erheiternd fanden, wurde sie
wieder ernst. „Man müsste ihr
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