Die Träume der Libussa (German Edition)
verstand.
„Hört zu, ihr
beiden“, hallte nun die Stimme ihres Onkels über den Hof. „Ich muss mit euch
reden.“
Libussa folgte
der Aufforderung und sah auch Premysl vom Stall kommen. Leichter Regen hatte
eingesetzt, so dass sie alle zusammen den Hof verließen und sich im kleinen
Saal an einen Tisch setzten.
„In ein
paar Wochen will ich zu den Mähren aufbrechen“, begann Krok. “Ich muss mir ein
Bild von den neuen Vorgängen machen und Frieden schließen mit jenem
Stammesführer, der sich König nennt, auch wenn mir sein Verhalten nicht
gefällt.“
Libussa nickte.
„Herr, warum
nimmst du hin, wenn er sich falsch verhält und vielleicht Menschen ebenso
unterdrückt wie Tyr?“, fragte Premysl. Zu Libussas Staunen wurde Krok nicht
wütend, sondern seufzte, als könne er Premysls Bedenken verstehen.
„Dieser Mann
muss stark sein, da er sich durchgesetzt hat. Viele Krieger stehen nun hinter
ihm. Für unser Volk scheint er aber keine Bedrohung zu sein. Es ist möglich, dass
wir eines Tages seine Unterstützung brauchen – gegen einen anderen, viel
gefährlicheren Gegner.“
Unerwartet fuhr
ein Schauer über Libussas Rücken. Auf einmal hatte sie Angst die Augen zu
schließen. Die Ahnung von etwas Dunklem, Schrecklichem stieg in ihr auf. Sie
riss sich zusammen. Tyrs Versuch, die Macht an sich zu reißen, hatte sie
verunsichert, doch seitdem herrschte Frieden in allen Ländern der Behaimen.
Ihre Angst war vermutlich grundlos und lächerlich.
„Was für einen
Gegner meinst du, Herr?“, hörte sie Premysls Stimme.
„Die Christen“,
kam es sogleich zurück. Libussa seufzte. Sie hatte diese Befürchtung schon zu
oft von Krok gehört.
„Onkel, mir
scheint manchmal, du machst sie schlimmer als sie sind. Einige ihrer
Kuttenträger irrten schon durch unsere Lande und erzählten von ihrem
gekreuzigten Gott. Sie schienen allesamt harmlos, nur ein wenig verwirrt. Sie
wurden bewirtet, wie es die Gastfreundschaft erfordert, doch kaum jemand nahm
sie ernst. Wenn wir aufhören, unsere Götter zu ehren, wie soll mit Jarilo der
Frühling über das Reich der Todesgöttin kommen? Wie soll Frieden herrschen
zwischen Perun und Veles, wenn ihre Kinder Jarilo und Morana sich nicht mehr
vereinen? Sturm und Donner würde unsere Ernten verwüsten. Das goldene Licht der
Mokosch, es könnte versiegen. Und niemand mehr käme ins Totenreich zu seinen
Ahnen.“
Zufrieden mit
ihrer Rede lehnte sie sich zurück. Premysl musterte sie lächelnd. Die
Unerschütterlichkeit ihres Glaubens schien ihn immer noch ein wenig zu
belustigen, auch wenn er gelernt hatte, ihre seherischen Fähigkeiten zu achten.
„Ich gebe dir
Recht, Libussa“, kam es von Krok. „Die alten Götter zu vergessen, das wäre
unser Untergang. Doch was ist, wenn jemand uns dazu zwingen möchte?“
Libussa
schüttelte ungläubig den Kopf. „Warum sollte so etwas geschehen? Das wäre
unerhört. Ein jedes Volk glaubt an seine Götter. So ist es schon immer
gewesen.“
„Die Christen
sind anders“, erklärte ihr Onkel entschieden. „Oder zumindest der neue
Frankenkönig. Ich habe auf meinen Reisen viele Gerüchte gehört. Er sammelt
seine Krieger, um andere Völker anzugreifen. Im Land der Polanen hatte eine
Seherin Visionen von vielen hingeschlachteten Anhängern des alten Glaubens,
über deren Leichen ein christlicher Kuttenträger ein brennendes Kreuz schwang.
Du weißt, ich glaube nicht immer an Visionen. Aber diese Frau hatte den tiefen,
unergründlichen Blick einer Weisen.“
Nun verdunkelte
sich der Raum um Libussa. Sie hörte Schreie, und eine blutbefleckte
Schwertklinge blitzte vor ihr auf. Im Hintergrund sah sie die hohe Gestalt
eines Mannes mit klugen, traurigen Augen. Er trug einfache Bauernkleidung, ganz
wie Premysl, und murmelte Worte in einer unverständlichen Sprache. Seine Stimme
klang sanft, doch brannte sie wie Feuer in Libussas Ohren. Sie schüttelte sich,
um die Finsternis zu verjagen. Allmählich lösten die Bilder sich auf.
„Was ist mit
dir?“ Besorgt schenkte Premysl ihr einen Becher Wasser ein. Libussa trank
erleichtert.
„Nichts, ich
…mir wurde schwindelig“, log sie ungeschickt. Sie wollte ihren Onkel nicht
weiter beunruhigen, indem sie ihre eigene Vision beschrieb.
„Das Übel hat
schon mit den Römern begonnen, denke ich“, sprach Krok unbeirrt weiter. „Sie
hatten den Anspruch, dass alle so werden sollten wie sie. Ich glaube, von ihnen
hat der Frankenkönig diese Idee übernommen.“
Libussa dachte,
dass Krok
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