Die Träume der Libussa (German Edition)
ein.
„Ich glaube
dir, dass du nur meinetwegen nach Chrasten gekommen bist“, begann sie seufzend.
„Aber ich will mein Amt mit dir teilen. Bisher war das bei unserem Volk nicht
Sitte, ich weiß. Der Onkel oder Bruder steht einer Frau, die den Clan anführt,
zur Seite. Doch bei der Versammlung im großen Saal, als man mich drängte,
Slavonik zu meinem Gefährten zu machen, wurde mir klar, wie sehr wir bereits
von den Lebensgewohnheiten unserer Nachbarn beeinflusst sind. Bei den Awaren,
den Franken und auch bei den meisten germanischen Stämmen herrschen fast nur
Männer. Es kann immer wieder geschehen, dass jemand wie Tyr versucht, durch
mich an die Macht zu kommen. Deshalb will ich, dass du mehr bist als nur der
Gefährte an meiner Seite, den ich bald wieder gegen einen anderen austauschen
könnte. Mein Volk soll den Fürsten der Tschechen in dir sehen. Ich fühle mich
auf diese Weise sicherer. Und wie ich schon sagte, ich halte viel von deiner
Klugheit.“
Premysl
musterte sie eine Weile nachdenklich, doch schließlich schüttelte er
entschlossen den Kopf.
„Es tut mir
leid, Libussa, aber dem kann ich nicht zustimmen. Ich sagte bereits damals in
Zabrusany zu dir, dass ich kein Fürst sein möchte. Ich will an deiner Seite
leben, solange wir es beide wollen. Ich will dein Ratgeber sein und dich
unterstützen, wo ich kann. Aber das Amt der Tschechenfürstin ist deins, und so
soll es auch bleiben, wie es bei unserem Volk schon immer Sitte war. Niemand
soll sagen können, ich hätte dich von deiner Stellung verdrängt. Du wurdest als
Nachfolgerin deiner Mutter auserwählt, und es ist eine gute Wahl gewesen. Ich
kenne kaum jemanden, der so ehrlich und gerecht sein kann wie du. Du bist ein
Mensch, den andere mögen, Libussa. Unterschätze diesen Vorteil nicht. Tyr
scheiterte daran, dass er nur Hass und Furcht um sich verbreitete. Es gibt
keinen Grund für dich, mit den alten Sitten zu brechen.“
Sie nickte
verwirrt, denn bisher hatte sie es als Schwäche empfunden, so oft die Hilfe
anderer zu benötigen. Kveta riss sie aus ihren Gedanken, als sie klopfte, um
die Stiefel zu bringen.
„Na, kleine Schwester, gut
geschlafen?“
Thetkas Augen
blitzten spöttisch und Libussa fühlte Hitze auf ihren Wangen. Wie viele Leute
hatten ihren Schrei wohl gehört? Der Saal war leerer als in den vergangenen
Wochen. Vojtan und Slavonik waren bereits abgereist, ohne Abschied zu nehmen.
Allein Neklan saß noch mit mürrischem Blick an seinem Platz.
„Wir begrüßen
Premysl mit Freude in unserer Runde“, erklang plötzlich die Stimme Lechos von
den Lukanern. „Er hat uns einmal sehr gut beraten, und wir hoffen, dass wir
auch in Zukunft auf seine Klugheit vertrauen können.“
Libussa warf
ihm einen dankbaren Blick zu. Er wusste, wie wichtig die erste Aufnahme eines
neuen Mitglieds im großen Saal war. Radka sowie auch einige der anwesenden
Krieger nickten zustimmend. Manche Blicke wanderten zum Stab der Fürstin, wohl
in der Erwartung, dass Premysl ihn nun hochheben würde. Doch er bedankte sich
nur für Lechos Worte. Dann schob er das Zeichen der Fürstin sanft in Libussas
Richtung, so dass sie ihre Gäste wie üblich selbst begrüßte. Ein abfälliges
Grinsen erschien auf dem Gesicht Hostivits von den Zlicany, aber ansonsten
störte sich niemand daran. Anschließend trugen die Mägde Krüge und Bretter mit
dem Essen herein.
Libussa biss
hungrig in ihr Brot, denn sie war am gestrigen Abend nicht mehr dazu gekommen,
noch etwas zu essen. Premysl musterte den üppig gedeckten Tisch stirnrunzelnd.
Vermutlich dachte er an das Elend der Bauern in seinem Dorf. Aber damit wäre es
vorbei, sobald Vojtan und Neklan sich erneut an die alten Regeln hielten.
Wieder
erklangen Melodien zur Unterhaltung der Gäste. Libussa lauschte erleichtert dem
entspannten Geplauder um sie herum. Sie nahm einen weiteren Schluck Met und
fühlte, wie Premysl unter dem Tisch ihre Hand suchte. Sie hoffte, die Gäste
würden bald abreisen, damit sie wieder mit ihm allein sein konnte. Sollten
heute Leute kommen, um ihren Rat zu suchen, würde sie diese auf morgen
vertrösten. Nur ein einziges Mal.
Thetkas
neugieriger Blick verriet ihr, dass es noch jemanden gab, der gern mit ihr
allein reden wollte. Angesichts der Hilfe, die sie von ihrer Schwester erhalten
hatte, war es wohl angemessen, diesen Wunsch nach dem Morgenmahl zu erfüllen.
Als die Tür zum
großen Saal sich plötzlich öffnete, wandten die Gäste erst allmählich ihre
Köpfe zu dem
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