Die Träume der Libussa (German Edition)
Ankömmling. Dann hörte man überraschte, aber freudige
Begrüßungsrufe. Libussa stellte ihren Krug auf den Tisch und sah die hoch
gewachsene Gestalt ihres Onkels.
Er schien mager
und um einige Jahre gealtert, doch hatte er nichts von seinem stolzen Auftreten
eingebüßt. Sein Blick wanderte staunend über die versammelte Runde, denn es war
nicht die Zeit für religiöse Feste, bei denen sich die fürstlichen Clans aller
Stämme regelmäßig versammelten.
„Zwei deiner
Nichten haben während deiner Abwesenheit einen Gefährten gefunden, Krok von den
Tschechen“, beantwortete Neklan jene Frage, die der Stammesführer noch nicht
gestellt hatte. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob du mit dieser Wahl
einverstanden bist.“
Libussa
begriff, dass Neklan nur geblieben war, um auf Kroks Rückkehr zu warten. Dann
wollte er sich bei dem Stammesführer über ihr Verhalten beschweren.
„Libussa gelang
es, einen gefährlichen Gegner zu schlagen“, kam Lecho ihr nun zu Hilfe. „Danach
wurde sie hier im großen Saal bedrängt, sich einen Gefährten zu nehmen, damit
bei einer weiteren Bedrohung unseres Volkes immer ein Mann in Chrasten zur
Stelle wäre. Sie traf ihre eigene Wahl, so wie es das Recht einer jeden Frau
ist.“
Zu ihrer
Erleichterung kamen ein paar zustimmende Rufe.
„Aber wir
hatten uns doch tatsächlich eingebildet, sie würde sich für einen Krieger
entscheiden, der einer Fürstin würdig ist. Stattdessen veranstaltete sie ein
uraltes Ritual, um uns diesen Bauernburschen hier vor die Nase zu setzen“,
fügte der Zlicany-Fürst sogleich hinzu.
Die Unruhe im
Saal nahm zu. Krok trat einen Schritt vor. Libussa fühlte, wie sein zorniger
Blick sie durchbohrte.
„Onkel,
vielleicht sollten wir das innerhalb der Familie bereden.“ Aus Kazi sprach
wieder die Stimme der Vernunft.
„Gut“, waren
nun die ersten Worte des Stammesführers. „Ich will mich mit allen drei Nichten
zurückziehen. Die übrigen Gäste mögen ihr Mahl fortsetzen. Ich bedauere, hier
durch mein unerwartetes Eindringen gestört zu haben.“
Als Libussa
aufstand, waren ihre Knie weich wie Teig. Premysl drückte ihr die Hand.
„Ich wäre gern
bei dem Gespräch dabei, Herr“, meinte er dann zu Krok. „Ich glaube, dass diese
Angelegenheit auch mich betrifft.“
Die Augen des
Stammesführers blitzten einen Moment wütend auf, doch er beherrschte sich.
„Dann komme eben mit.“
Zu fünft
wollten sie den großen Saal verlassen, als Neklans Stimme sie aufhielt.
„Wenn einer
meiner Bauern bei dem Gespräch dabei sein darf, dann will ich das auch. Es gibt
einige Dinge, die ich dir zu sagen habe, Krok von den Tschechen.“
Der Zorn ließ
Libussa ihre unangenehme Lage vergessen. „Er ist nicht mehr dein Bauer, Neklan
von den Lemuzi. Auch wenn es dir nicht gefällt, wirst du damit leben müssen“,
zischte sie ihn an.
Sie fühlte
Premysls Finger an ihrem Arm. „Laß gut sein, Libussa.“
Krok sah aus,
als wäre seine Geduld allmählich am Ende. „Jetzt gehen wir alle, und zwar
sofort“, sagte er laut. „Neklan kann meinetwegen mitkommen. Ich entscheide, ob
ich ihn reden lasse.“
Sie gingen in einen Nebenraum, wo
die Mahlzeiten eingenommen wurden, wenn keine Gäste zugegen waren.
„Nun berichte,
wie es gewesen ist“, meinte Krok zu Libussa. Sie tat ein paar tiefe Atemzüge.
Dann erzählte sie ihre Geschichte und Krok unterband jeden Versuch der anderen,
sie dabei zu unterbrechen.
Anschließend
schwieg der Stammesführer eine Weile. „Du hast dich in vielen Dingen klug
verhalten“, meinte er schließlich. „Und ich sehe, wie wertvoll Premysls Rat und
Beistand in dieser gefährlichen Lage gewesen sind. Aber es steht einer Fürstin
nicht an, sich mit einem Bauern zu vermählen. Gegen Thetkas Entscheidung für
diesen Nordmann will ich mich nicht auflehnen, auch wenn sie mir mißfällt. Doch
du bist die wichtigste Frau unseres Volkes. Deshalb schlage ich vor, dass ihr
eure Verbindung in gegenseitigem Einverständnis auflöst. Ich bin bereit,
Premysl für seine Hilfe angemessen zu entlohnen. Ihr werdet euch auch weiter
treffen können, doch als Gefährten solltest du einen Sohn der fürstlichen Clans
wählen, Libussa. So wie es üblich ist.“
Sie fror und
vermied es, Premysl anzusehen. Wieder holte sie Luft, und versuchte, ihrer
Stimme jenen entschiedenen Klang zu geben, den sie im großen Saal zu ihrem
Vorteil nutzte. „Das werde ich nicht tun, Onkel“, erklärte sie. „In unserem
Volk haben Frauen das Recht,
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