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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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mehr zur Pflege überlassen hatte, seit ihm einmal ein
verletztes Lämmchen gestorben war. Dabei war es von Wölfen zerbissen worden,
und sein Tod wäre auch dann eingetreten, wenn Vojen nicht kurz vergessen hätte,
nach dem Tier zu sehen. Mit seinen fünf Jahren war er kaum in der Lage gewesen,
Verantwortung für ein anderes Leben zu tragen. Es musste ihm ungerecht
erscheinen, dass seitdem nur Vlasta mit Aufgaben betraut wurde, die seine
Mutter für wichtig hielt. Libussa war bereits mehrfach aufgefallen, wie
abweisend Kazi ihren Sohn behandelte, und sie beschloss, ihre Schwester in
einem günstigen Moment darauf anzusprechen. Sie wollte Kazi darauf hinweisen,
wie sehr sie den Göttern, vor allem der großen Mutter Mokosch, zu Dank verpflichtet
war, ein gesundes Kind zur Welt gebracht zu haben.
    Als Kazi, die
allgemein männliche Gesellschaft mied, sich mit Bivoj, einem herumziehenden
Krieger zusammentat, waren alle überrascht gewesen. Das Verhältnis hielt auch
nicht lange. Sobald Kazi ihre Schwangerschaft bemerkte, wurde ihr Verhalten
gegenüber Bivoj immer kühler, so dass er schließlich beschloss, sein Glück an
einem anderen Ort zu suchen. Die Geburt seines Sohnes bekam er nicht mehr mit.
Libussa erinnerte sich an Kazis unzufriedene Miene, als sie den kleinen Vojen
zum ersten Mal in ihren Armen hielt.
    „Einen Sohn
hätte ich vielleicht besser dem Vater mitgeben sollen, damit er einen Krieger
aus ihm macht“, hatte die Schwester nur gemurmelt. Libussas Ermahnung, dass
auch Söhne zum Clan ihrer Mütter gehörten, ertrug sie geduldig, ohne sie ernst
zu nehmen.
    Warum schenkte
Mokosch ihrer Schwester einen Sohn, wenn sie es nicht einmal zu schätzen
wusste? In ihrem eigenen Leben war der Kindersegen bisher ausgeblieben, auch
wenn Premysl und sie immer noch bei jeder Gelegenheit das Lager teilten. Sie
hatte regelmäßig am Schrein Moranas gebetet, Kazis Ratschläge befolgt, doch ihr
sehnlichster Wunsch blieb unerfüllt.
    In düstere
Gedanken versunken betrat sie ihre gemeinsame Kammer und fand dort Premysl vor.
Immer noch trug er einfache Bauernkleidung, auch wenn sein Ansehen mit der
neuen Siedlung gewachsen war. Bei den Sitzungen im großen Saal verharrte er an
Libussas Seite, mischte sich aber nur selten in die Gespräche ein. Tat er es
doch, so zeugten seine Worte von bemerkenswertem Verstand. Aber er hielt es für
alberne Wichtigtuerei, mehr als unbedingt nötig vor den Versammelten zu
sprechen. Die fürstlichen Clans hatten gelernt, seine Anwesenheit hinzunehmen.
Der Gefährte einer Fürstin war nur in Ausnahmefällen wichtig gewesen, nicht
selten wurde er bald durch einen anderen Mann ersetzt. Da Libussa als Fürstin
der Tschechen und Hohe Priesterin durch die Gründung Prahas neuen Wohlstand ins
Land gebracht hatte, war Widerspruch gegen ihr Verhalten selten geworden.
    „Lass uns noch
kurz ausreiten, bevor das Abendessen fertig ist“, meinte sie nun zu Premysl,
der bereitwillig aufsprang. Wieder einmal sattelte er die Pferde selbst, bevor
sie durch das Tor der Mauer ins Freie ritten. Libussa hatte gehofft, der
Ausflug würde sie von ihrer Unzufriedenheit ablenken, und tatsächlich schwanden
Zorn und Bitterkeit, als die vertraute Landschaft vor ihr auftauchte. Der Fluss
glänzte in der Abendsonne, als sei er von Glassteinen bedeckt, und dahinter
leuchtete das Laub der Bäume golden. Ehrfürchtig musterte Libussa die
Schönheit, die Morana der Erde, ihrem Leib, verleihen konnte. Sie selbst war
nur Teil dieses Ganzen, verbunden mit dem ewigen Kreislauf der Zeiten, und
sollten ihr niemals Kinder geboren werden, so musste dies der Wille der Götter
sein, dem sie sich zu fügen hatte. Dieser Gedanke erleichterte sie, und sie
schloss für einen Moment die Augen. Vor ihrem geistigen Auge zogen nun Menschen
vorbei, eine Gruppe zerlumpter, elender Gestalten, die von Männern zu Pferd mit
Stöcken vorangetrieben wurde. Mittendrin tauchte das Gesicht eines Knaben auf.
Es war dunkel wie nasse Erde und schien in seiner Trauer uralt, als habe dieses
Wesen zu viel Leid erlebt, um noch Freude am Leben empfinden zu können.
    „Sieh,
Libussa!“, hörte sie plötzlich die Stimme ihres Gefährten und riss die Augen
auf. „Ich glaube, da treffen neue Händler ein.“
    Ein
riesengroßes Schiff kam langsam näher. In den Fluten der Vltava hoben und
senkten sich die Ruder. Zahllose Gesichter waren auf Praha gerichtet, denn dieses
Schiff schien zum Bersten voll mit Menschen. An seinem Mast sah Libussa die
Fahne der

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