Die Träume der Libussa (German Edition)
verdüsterte
sich Muhammad Ibn Saids Miene. Seine Augen funkelten zornig auf, aber das
Lächeln schwand nicht von seinen Lippen. Sehr ruhig, fast genüsslich, setzte er
zur Antwort an: „Sie widmen sich ihren Geschäften sowie der Bildung und den
schönen Künsten. Lesen die alten Schriften der Weisen und Gelehrten. All dies
war im Römischen Reich bekannt. Doch seit dessen Untergang geriet es in vielen
Gefilden in Vergessenheit.“
Libussa
schluckte, denn nun war allzu deutlich geworden, was der Händler in ihren
Leuten sah: Barbaren, denen es an Wissen mangelte! Ein solches Urteil war
voreilig und vermessen, denn was konnte dieser Mann schon über ihre Götter und
Traditionen wissen? Trotzdem empfand sie es als beschämend, ihm nicht
widersprechen zu können. Wie gern wäre sie in der Lage gewesen, von jenen alten
Schriften reden zu können, deren Kenntnis er für so wichtig hielt. Welche
Geheimnisse sich wohl in ihnen verbargen? Sie hörte Premysl Luft holen und
fürchtete einen nahenden Streit. Ahnte ihr Gefährte, dass es diesmal nicht so
einfach sein würde, den Gegner mit Worten zu besiegen? Ganz gleich, was man von
Muhammad Ibn Said halten mochte, er schien ein ungewöhnlich kluger,
redegewandter Mensch. Sie wollte nicht, dass er verärgert abreiste, und begann
zu ahnen, dass dies nicht nur an der Bedeutung lag, die er für Praha haben
konnte. Dieser Mann hatte ihr den Blick auf eine unbekannte Welt voller Wunder
eröffnet.
„Beherrschst du
die Kunst des Schreibens, Muhammad Ibn Said?“, fragte sie geradeheraus, um
Premysl an einem weiteren Angriff zu hindern. Der Händler lächelte wieder
einmal.
„Das tue ich in
der Tat, edle Frau. Gerne würde ich es dir zeigen, doch ich habe kein Pergament
bei mir, auch keine Tinte. Während meiner Reisen durch eure Wälder, da ritzte
ich manchmal Botschaften in die Baumrinde.“
Ein Knecht
brachte auf Libussas Aufforderung hin schnell die notwendigen Utensilien.
Fasziniert beobachtete sie, wie seine feinen braunen Finger ein kleines Messer
umklammerten und mit dessen Klinge Zeichen auf die Rinde ritzten.
„Dies ist dein
Name, edle Frau. In der Schrift der Römer. Wenn du willst, so kannst du ihn
auch noch in der meines Volkes sehen.“
Sie nickte,
obwohl die meisten Gesichter um sie herum gelangweilt und ungeduldig schienen.
Diesmal malte er die Zeichen in umgekehrter Richtung. Sie bemerkte ihre
andersartigen Formen. Wie konnten Menschen in diesen seltsamen Rundungen und
Strichen ihren Namen erkennen? Und warum waren die Zeichen bei jedem Volk
anders? Es widerstrebte ihr, Muhammad danach zu fragen, denn dies hätte ihn
wieder daran erinnert, wie unwissend sie in vielen Dingen war.
„Bitte nimm
diese bescheidene Gabe an, schöne Dame. Zum Dank für deine Gastfreundschaft.“
Während er ihr die Rinde überreichte, schien sich sein Blick tief in sie zu
versenken. Ein Schauer lief über Libussas Rücken, denn sie konnte in den
klugen, dunklen Augen eine deutliche Botschaft erkennen. Selbst wenn er sie für
eine Barbarin halten mochte, so war sie dennoch eine Frau, die ihm gefiel. Er
war nicht der erste Mann neben Premysl, der sie derart angesehen hatte, doch
bisher war ihr nie etwas anderes in den Sinn gekommen, als solche Angebote freundlich
zurückzuweisen. Doch jetzt war ein unheilvolles Feuer in ihr entfacht. Bei
Premysl hatte sie Geborgenheit und Sicherheit gefunden. Dieser Mann versprach
ihr etwas Gefährlicheres, von dem ein unbekannter Reiz ausging. Eine Weile
fühlte sie sich gefangen in seiner fremden, edlen Welt, verzaubert wie von
einem Geist.
Premysls
Stimme rüttelte sie auf. „Diese jungen, schönen blonden Mädchen, die du abseits
der anderen Sklaven in dem Gebäude am Fluss untergebracht hast, was wird aus
ihnen werden, Muhammad Ibn Said?“ Offenbar konnte er den fremden Namen mühelos
aussprechen, wenn er es wollte. Der Händler schien endgültig verärgert, aber er
antwortete mit sanfter Stimme: „In meinem Volk weiß man die Schönheit von
Frauen zu würdigen. Sie leben in prächtigen Räumen, mit Bediensteten, die ihnen
jeden Wunsch erfüllen. Dort sind sie sicher vor den Widrigkeiten dieser Welt
und der Zudringlichkeit fremder Männer, die ihre Unschuld bedrohen. All diese
Mädchen werden in meiner Heimat ein sicheres, prächtiges Zuhause finden.“
Libussa fühlte
sich plötzlich unwohl, ohne genau zu wissen weshalb. „Und was ist, wenn diese
Frauen den sicheren Ort verlassen möchten, um etwas von der Welt
mitzubekommen?“,
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