Die Träume der Libussa (German Edition)
sie an einem anderen Ort wieder an den Meistbietenden zu verschachern. Wie
kannst du ihn an deiner Tafel dulden, Libussa? Wir sollten Krieger sammeln,
Nachrichten in die umliegenden Dörfer schicken, damit diese Unglücklichen
befreit werden. Ich habe mit einigen der Knechte an der Anlegestelle
gesprochen. Sie sollen helfen, Umzäunungen zu errichten, damit die menschliche
Ware sich nicht so schnell davonmachen kann. Libussa, die meisten dieser
Sklaven sind Leute aus unserem Volk. Aus dem Lande Rus. Sie wurden vermutlich
von den Awaren oder anderen Räubern gefangen und dann an diesen … diesen Kerl
mit dem unaussprechlichen Namen verkauft.“
Seine Worte
versetzten Libussa einen Stich, als habe sie eine Schwertklinge getroffen. „Um
meine Krieger loszuschicken, damit diese Leute befreit werden, dazu bräuchte
ich die Zustimmung von Onkel Krok“, erklärte sie niedergeschlagen. „Aber ich
weiß, dass er sie mir nicht geben wird. Auch die Fürsten der anderen Clans
werden mir grollen, wenn ich einen so wohlhabenden Händler aus unseren Ländern
vertreibe. Bitte, Premysl, sieh ein, dass ich nicht anders handeln kann.“
Er musterte sie
eine Weile mit finsterem Blick. „Was bin ich froh, nicht selbst ein Fürst zu
sein“, erklärte er schließlich. Obwohl er danach kaum ein Wort mit Libussa
sprach, war er am nächsten Tag bereit, mit dem fremden Händler an einer Tafel
zu sitzen – auch wenn er darauf bestand, wieder einmal seine Bauernkleidung zu
tragen. Kazi hingegen lehnte es ab, den Fremdling kennen zu lernen. Thetka
erschien, wie immer prächtig herausgeputzt, an der Seite von Eric.
Muhammad Ibn Said war in weiße
Gewänder gehüllt. Ketten mit Schmucksteinen hingen um seinen Hals und er
bewegte sich mit einer Anmut, die Libussa bisher nur bei Frauen aufgefallen
war. Ein wenig erinnerten sie das scharf geschnittene Profil des Händlers und
seine Selbstherrlichkeit an Slavonik, doch ging von diesem Fremden etwas Edles aus,
das sein stolzes Auftreten selbstverständlich machte. Muhammad lobte den mit
bunten Tüchern geschmückten Saal und beglückwünschte alle Anwesenden, eine
derart zauberhafte Frau als Fürstin zu haben. Wieder dachte Libussa an
übermäßig gesüßte Speisen. Tief in den dunkeln Augen des Fremden vermeinte sie
etwas völlig anderes zu erkennen: Der Saal kam ihm ärmlich vor. Manchmal, wenn
die anwesenden Krieger zu derb miteinander scherzten, zuckte er zusammen. Dann
malte sich sehr deutlich Widerwillen auf seinem Gesicht. Libussa verstand
nicht, warum es sie schmerzte, dass dieser wenig liebenswürdige Händler ihre
Leute für Barbaren hielt.
„Nun, Fremder“,
hörte sie Premysl sprechen, und ihr wurde unwohl zumute. „Vergib mir, wenn ich
nicht fähig bin, deinen Namen auszusprechen. Berichte uns von deiner Heimat und
deinen Reisen. Wir sitzen hier meist in der Festung und sehen nicht viel von
der Welt.“
Libussa atmete
erleichtert auf, da Premysls Worte nicht gegen die Gebote der Gastfreundschaft
verstießen. Trotzdem war der Klang seiner Stimme höhnisch und feindselig
gewesen. Eine winzige Falte erschien zwischen Muhammads Augenbrauen. Dann
begann er zu erzählen und seine Worte erweckten eine wundersame Welt zum Leben:
steinerne Bauten mit Rundbögen, Räume, auf deren Böden bemalte, glatte Scheiben
lagen, in Gebäuden angelegte Seen, in denen zu jeder Jahreszeit gebadet wurde
und schließlich Brunnen, aus denen das Wasser von selbst in die Höhe schießen
konnte. Libussa wurde schwindelig; sie schloss die Augen und diese unglaubliche
Pracht begann vor ihr Gestalt anzunehmen. Wie konnten Menschenhände solche
Wunder schaffen? Stammte der Fremde aus dem Reich der Geister? Es kam ihr nicht
in den Sinn, ihn der Lüge zu verdächtigen. Was sie hinter ihren geschlossenen
Lidern gesehen hatte, war echt gewesen.
„Werden die
Leute, die du dort hinschleppst, auch in solchen Bauten wohnen?“, mischte
Premysl sich nun wieder ein.
Muhammad Ibn
Said schien nicht verärgert, nur verwirrt. „Es ziemt sich natürlich nicht für
Diener, wie ihre Herren zu leben“, erklärte er. „Aber wenn sie Glück haben,
kommen sie im Haus eines reichen Mannes unter.“
„Ich bin mir
sicher, sie werden es als großes Glück betrachten“, kam es nun wieder spöttisch
von Premysl. „Aber sage mir, was machen diese reichen Männer den lieben langen
Tag, wenn sie so viele Diener haben? Liegen sie herum und überlegen, welchen
weiteren Zierrat sie sich anschaffen könnten?“
Nun
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