Die Träume der Libussa (German Edition)
wie ein Stein auf ihrer Brust lastete.
Doch als sie schließlich erlöst ihren Kopf an Premysls Schulter vergrub, um
Schlaf zu finden, vermeinte sie wieder Muhammads Stimme zu hören. Bald wäre es
mit den alten Sitten vorbei, hatte er gesagt. Spöttisch, böse, doch voller
Überzeugung. Aber wie konnte er etwas Derartiges behaupten? Nur, weil er ein
paar Gerüchte gehört hatte? Libussa sagte sich, dass es eine übertriebene
Drohung aus Wut gewesen war, nichts weiter. Niemals konnte der Glaube ihrer
Ahnen untergehen, ohne dass die Erde verdorrte und das Licht der großen
Sonnengöttin Mokosch für immer erlosch.
Einen Augenblick fürchtete sie, im Schlaf wieder das Gesicht des großen,
ernsten Unbekannten zu sehen, von dem eine unklare Drohung ausging. Doch es
erschien ihr nicht. Stattdessen hörte sie das Knacken von Zweigen. Ein Kind
lief durch den finsteren Wald, so schnell, dass sein Atem vor Anstrengung
lauter war als alle nächtlichen Geräusche. Sie sah eine weitere Gestalt vor ihm
dahineilen, doch war diese fast unsichtbar in der Dunkelheit. Ein dumpfer
Schlag war zu hören, als das Kind über eine Baumwurzel stolperte und zu Boden
fiel. Die Hand, die ihm wieder auf die Beine half, war schwarz wie das Gefieder
eines Raben.
„Mnata!“, flüsterte eine unbekannte Frauenstimme.
„Ist dieser Mistkerl jetzt abgereist?“,
fragte Thetka, während sie ihren ersten Krug Met leerte. „Ich kann Leute nicht
ausstehen, die immer nur Wasser trinken. Über unseren Schweinebraten hat er
auch die Nase gerümpft.“
„Angeblich
verbietet sein Glaube Schweinefleisch", erklärte Libussa. „Und Kazi trinkt
auch keinen Met.“
Sie warf einen
Blick auf die älteste Schwester, die zu sehr in ihre eigenen Gedanken versunken
schien, um sich wegen Thetkas Kommentar gekränkt zu fühlen. Kazi war allgemein
schwer zu kränken, da sie die Worte anderer Menschen nicht wichtig nahm. Nun
blickte sie auf. Ihr Gesicht wirkte angespannt, als beschäftige sie eine
unausgesprochene Sorge.
„Vor seiner
Abreise suchte er die Gegend ab, habe ich gehört“, meinte sie auf einmal.
Libussa nickte.
„Er hat behauptet, zwei seiner Sklaven wären davongelaufen. Er wollte, dass ich
ihn die Hütten der Bauern durchsuchen lasse, doch das habe ich ihm verweigert.
Daraufhin zog er schlecht gelaunt von dannen.“ Sie verschwieg die Einzelheiten
der unangenehmen Unterhaltung, denn ihr wurde unwohl, sobald sie sich daran
erinnerte.
„Kein großer
Verlust“, erklärte Thetka entschieden. Libussa wünschte sich eine ähnlich
einfache Sichtweise der Welt. Thetka neigte nicht zu Grübeleien, sondern folgte
ihren Eingebungen. Doch in den Jahren, da sie Fürstin war, hatte Libussa
gelernt, wie falsch es sein konnte, schnelle Urteile zu fällen.
„Muhammad Ibn
Said hat seltene Waren in unser Land gebracht“, sagte sie. „Onkel Krok meinte,
es wäre wichtig, Händler anzulocken. Deshalb schickte ich ihn auch nicht fort.
Nur den Handel mit Menschen wollte ich ihm nicht gestatten.“
„Nicht alle
Fürsten haben sich so verhalten wie du“, meinte Premysl. „Sonst hätte der
Sklavenhändler nicht so viele unserer Leute ansammeln können.“
Libussa senkte
betrübt den Kopf. Sie wollte nicht wissen, woher die meisten der Sklaven
stammten. Aus dem Lande Rus vermutlich oder auch von den Mähren oder Polanen.
Würden alle fürstlichen Clans ihres eigenen Volkes Geschäfte mit einem so
reichen Mann verweigern?
„Diese Stadt,
aus der er kommt, klang zauberhaft. Glaubt ihr wirklich, dass Menschen sich in
ihren Häusern Teiche anlegen, um darin schwimmen zu können?“, meinte Libussa
nun, um von erfreulicheren Dingen zu reden.
„Bei uns wäre
das nicht so gut“, erwiderte Premysl. „Jeden Winter würden sie zufrieren und
wir könnten auf dem Eis ausrutschen.“
Thetka
kicherte.
„Dich fand er
jedenfalls so zauberhaft wie du seine Heimatstadt, Schwesterchen. Als er deinen
Namen in die Rinde ritzte oder wenigstens behauptete, es zu tun, da dachte ich,
er schlägt gleich andere Künste vor, die er dir noch zeigen könnte.“
Libussa wurde
unwohl. Verwirrt nahm sie das allgemeine Gelächter zur Kenntnis. Premysl legte
seinen Arm um sie. „Wahrscheinlich sollte ich den Göttern dafür dankbar sein,
dass der Mann ein Sklavenhändler war. Sonst wäre unsere Fürstin mit ihm
gezogen, um hinter steinernen Mauern tagaus, tagein auf Baumrinde
herumzuritzen.“
Die meisten
Anwesenden schmunzelten, doch Libussa war der scharfe Unterton von
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