Die Träume der Libussa (German Edition)
Premysls
Stimme nicht entgangen.
„So etwas würde
ich niemals tun“, erklärte sie empört. „Ich weiß, wohin ich gehöre. Und zu
wem.“
Thetka lächelte
spöttisch, denn ihrer Meinung nach hatte Libussa wieder einmal einen Scherz
missverstanden. Aber Premysls Augen leuchteten glücklich auf.
„Kazi wollte den
Händler nicht einmal sehen“, kam es nun von Eric.
Libussa
richtete ihren Blick wieder auf ihre älteste Schwester, die wie gewöhnlich
schwieg.
„Er hat Dinge
erzählt, die du vielleicht gern mit angehört hättest, Kazi. In seiner Heimat
soll es Männer geben, die sich sehr gut mit der Heilkunst auskennen. Außerdem
berichtete er von großen Tieren, auf deren Rücken zwei Berge wachsen. Und dann
diese Stadt mit ihren großen Steinbauten ...“
„... in denen
sicher nicht alle der Einwohner leben“, unterbrach Premysl. „Überlege einmal,
Libussa. Dieses Gewerbe, das du abscheulich nennst, ermöglicht es ihm erst, so
gebildet zu sein und in einem derart prächtigen Haus zu wohnen.“
„Hat er auch
ein kleines Mädchen erwähnt, das verschwand?“, mischte sich Kazi nun wieder ins
Gespräch. Alle sahen sie überrascht an, und sie schien sich deshalb unwohl zu
fühlen.
„Warum fragst
du?“, staunte Libussa. „Muhammad Ibn Said erwähnte nur einen Jungen und eine
Frau.“
Kazi nickte.
Sie sah schlecht gelaunt aus, und Libussa fragte sich, ob die Anwesenheit eines
Sklavenhändlers an der Tafel des großen Saales der ältesten Schwester derart
missfallen hatte. Denn im Allgemeinen kümmerte sie sich nicht um solche Dinge.
Kveta riss sie
aus ihren Gedanken, als sie die Kinder brachte. Glücklich hob Thetka ihre
Tochter Vlasta auf die Bank und Libussa bemerkte wieder einmal den
unzufriedenen Ausdruck auf Kazis Gesicht. Ein Stück hinter Vlasta stand Vojen,
Kazis Sohn. Die älteste Schwester sah ihren Jungen nur kurz an und erkundigte
sich bei der Kindsmagd nach seinem Wohlergehen. Kveta meinte, es ginge ihm
nicht anders als sonst, und Kazi versank wieder in ihre Gedanken. Premysl rief
Vojen zu sich, um ihm ein neu geschnitztes Holzpferd zu zeigen.
„Ich kann
verstehen, wie ihm zumute ist“, hatte er einmal zu Libussa gesagt. „Auch meine
Mutter wünschte sich vor allem eine Tochter.“
Vor fünf Jahren
war Kazis alter, zahnloser Kater gestorben. Sie hatte ihn bis zuletzt mit
Milchbrei zu füttern versucht und war nicht von seiner Seite gewichen, bis nur
noch ein lebloses Fellbündel in ihren Armen lag. Danach versank sie wochenlang
in tiefes Schweigen. Libussa bedauerte ihre Schwester, doch ein böser Gedanke
schlich sich in ihren Kopf. Würde Kazi ebenso um Vojen trauern, wenn ihn
vielleicht eines Tages ein früher Tod ereilen sollte? Sie war sich nicht
sicher.
Aber auch
Premysls Mutter, die sich eine Tochter wünschte, hatte ihren Sohn schließlich
ins Herz geschlossen. Es bestand also noch Hoffnung. Libussa beobachtete, wie
Vojens Finger sacht über das Holzpferd strichen. Er war ein stilles,
grüblerisches Kind. Seinem Namen, der Kriegerische, wurde er nicht gerecht.
Kazi musste an seinen Vater gedacht haben, als sie ihren Sohn so nannte. Bivoj,
der alle Wettkämpfe gewann und sogar einen wilden Eber erlegt hatte. Sein
Werben um die Heilerin hatte jeden erstaunt, vor allem aber Kazi selbst.
Vielleicht hatte sie sich geschmeichelt gefühlt. Oder einfach den erstbesten
Mann genommen, der willens schien, sie zu schwängern.
Premysl nahm
das Holzpferd und ließ es über den Tisch galoppieren, während er Vojen die
Geschichte von einem verirrten Fohlen zu erzählen begann. Das meist mürrische
Gesicht des Jungen hellte sich ein wenig auf. Libussa spürte einen Stich in
ihrer Brust. Premysl verstand hervorragend mit Kindern umzugehen, doch die
Götter gönnten ihnen beiden keine eigenen.
Sie hatten das
Morgenmahl schon fast beendet, als plötzlich ein Knecht auftauchte.
„Herrin, da
sind Leute, die dich zu sehen wünschen. Irgendwelche Bauern. Sie wollen dir
etwas zeigen.“
Eine
Menschenmenge betrat zögernd den Raum. Voran schritt ein alter, bärtiger Mann,
der Libussa vertraut vorkam. Erst als er sie zur Begrüßung anlächelte, erkannte
sie den Einsiedler aus der Hütte im Wald.
„Die Bauern
haben zwei eigenartige Geschöpfe gefunden, Herrin. Einen kleinen Hunnen und
eine Frau, die wie ein böser Geist aussieht. Man wollte sie erschlagen, aber
ich konnte alle davon überzeugen, dich über ihr Schicksal entscheiden zu
lassen.“
Der Kreis von
Menschen öffnete sich und gab
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