Die Träume der Libussa (German Edition)
sein Geheimnis preis. Ein blutüberströmter Junge
kauerte auf dem Boden. An seiner Seite stand eine Frau mit pechschwarzer Haut,
die ein Bündel umklammerte. Ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen.
Libussa starrte sie ungläubig an. Warum sollte eine Dämonin sich derart vor ihr
fürchten?
„Ich glaube,
das sind die entlaufenen Sklaven“, holte Premysl sie nüchtern in die
Wirklichkeit zurück.
Sie sah Kazi
aufstehen und auf die Dämonin zugehen. Es gab einen kurzen Kampf, den ihre
Schwester schließlich gewann. Sie hielt ein braunes, schreiendes Kind in die
Höhe.
„Dies ist meine
Tochter. Die Götter haben sie mir geschickt. Ihr Name ist Tschastawa. Sie wird
meine Nachfolgerin sein. Eine große, weise Heilerin unseres Volkes“, verkündete
sie mit leuchtenden Augen.
„Diese Tochter
sieht verkohlt aus, als wäre sie in eine Feuerstelle gefallen“, rief Thetka
Als zögerndes
Lachen erklang, hoffte Libussa, dass die schwarze Frau diese Worte nicht
verstehen konnte.
„Dieses Kind
gehört dir nicht, Frau. Ich habe gesehen, wie Afra es zur Welt brachte“, hörte
sie plötzlich eine unbekannte Kinderstimme. Sie hatte einen weichen, tiefen
Klang, so wie die Sprache der Leute aus dem Lande Rus. Der kleine Hunne war
mühsam aufgestanden. Sein braunes Gesicht mit den schrägen Augen schien Libussa
seltsam vertraut.
„Wer
bist du?“, murmelte sie fassungslos.
„Mein
Name ist Mnata.“ Die Kinderstimme klang erwachsen und ernst. Libussa fuhr sich
mit der Hand über die Stirn. Der Name kam ihr bekannt vor, doch ihre
Erinnerungen waren unklar, wie in einen Nebel gehüllt.
„Du stammst
aus dem Khaganat der Awaren, nicht wahr?“, fragte sie. „Wie kamst du zu einem
Sklavenhändler? Es heißt, deine Leute sind groß und mächtig.“
Der
Junge sah sie staunend an, als könne er keinen Sinn hinter ihren Worten
erkennen.
„Ich zog
mit meinen Leuten durchs Land“, erklärte er. „Sie ... sie waren Krieger, die
andere Dörfer überfielen. Sie schleppten dann Gefangene fort, von denen ich
eure Sprache lernte. Meine Mutter diente den Kriegern. Eines Tages wurde sie
krank und ging in den Wald, um Kräuter zu sammeln. Ich begleitete sie zunächst,
doch dann befahl sie mir, zu warten. Sie kam nicht wieder. Als ich nach den
Kriegern suchte, um Hilfe zu holen, waren sie schon weitergezogen. Ich folgte
ihrer Spur, bis die Leute von Ibn Said mich fanden. Dann kam ich auf den Karren
zu den Frauen. Afra war eine davon. Sie gebar unterwegs ein Kind, ich glaube,
Ibn Said ist der Vater. Als wir in der Hütte am Fluss waren, da kam diese Frau
und wollte das Kind kaufen. Ibn Said versprach es ihr. Deshalb lief Afra fort
und nahm mich mit, weil ich mich um sie gekümmert hatte, als es ihr schlecht
ging. Afra kann nicht sprechen, aber sie versteht, was wir sagen. Es ist ihr
Kind und sie sollte es wiederbekommen.“
Libussa
staunte, wie klar der Junge erzählen konnte. Er schien nicht älter als Vlasta,
doch wirkte er bereits erwachsen. Die Augen der schwarzen Frau waren zum Leben
erwacht, als hätte sie tatsächlich jedes Wort verstanden. Hoffnungsvoll
musterte sie Libussa.
„Kazi,
wolltest du dieses Kind wirklich dem Sklavenhändler abkaufen?“, fragte Libussa
fassungslos. Das Gesicht ihrer ältesten Schwester verfinsterte sich.
„Ich war
nicht die Einzige, die zu dem Sklavenhändler ging. Viele Leute schlichen sich
hin, trotz deines Verbots. Ich wollte nur sehen, ob er ein kleines Mädchen
hatte. Doch von Tschastawa habe ich geträumt. Meine Tochter mit einer Haut so
braun wie Haselnüsse. Sie wird meine Nachfolgerin sein. Das ist der Wunsch der
Götter.“
Kazi
hatte sich entschlossen aufgerichtet und drückte das kleine Bündel Mensch an
sich. Die schwarze Frau hob kurz ihre Arme, ließ sie aber wieder sinken, als
sei ihr klar, wie machtlos sie war. Diese Geste der Verzweiflung schnitt
Libussa ins Herz. Plötzlich überkam sie der Wunsch, Kazi zu ohrfeigen.
„Du
solltest besser allein mit deiner Schwester reden“, meinte Premysl, als sei ihm
klar, dass ein übler Streit bevorstand.
Sie saßen in Libussas Kammer.
Premysl war anwesend, wie sie es sich gewünscht hatte. Seine Gegenwart
beruhigte sie.
„Kazi, du hast
dich meinen Anweisungen widersetzt.“
Die Schwester
nickte nur.
„Du wolltest
mit dem Sklavenhändler Geschäfte machen.“
„Du hast auch
Geschäfte mit ihm gemacht. Ihn sogar an deine Tafel geladen und nett mit ihm
geplaudert.“
Libussa ballte
zornig
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