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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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die von Menschen gelesen wurde.
Niemand konnte je wissen, wie sie sich selbst jetzt fühlte, weil sie ihre Worte
nicht auf Rinde zu kratzen oder niederzuschreiben vermochte.
    Sie glaubte,
bisher die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Ihren Gefährte. Ihre
Siedlung. Viele Jahre des Friedens. Aber wenn sie keine Tochter bekam, würde
sie es mit einem anderen Mann versuchen müssen. Lecho war der einzige Sohn der
fürstlichen Clans, den sie wirklich mochte. Aber er hatte sich mit Irina von
den Leitmeritzern zusammengetan, die seinetwegen sogar nach Zatec, der Festung
der Lukaner gezogen war. Allerdings zählte Treue zwischen Mann und Frau in
ihrem Volk nicht viel. Irina würde es verstehen. Nur erschien es Libussa
widerwärtig, Lecho auf diese Weise zu benutzen. Sie konnte sich nicht
vorstellen, ihn mit Lust zu berühren.
     
    „Na komm schon, kleiner Hunne,
oder hast du Angst?“
    Vlasta hatte
ihn an eine Stelle der Mauer geführt, an der sie hochklettern wollte. Das
Mädchen hatte meist irgendeinen Unfug im Kopf. In Gegenwart ihrer Familie wagte
sie ihn niemals „kleiner Hunne“ zu nennen, doch waren sie allein, so tat sie es
ständig. Er nahm es ihr nicht wirklich übel, denn sie schien seine Gegenwart zu
mögen.
    „Du bist
wenigstens nicht so langweilig wie Vojen“, hatte sie einmal gesagt.
    Nun kraxelte
sie behände das steinerne Gemäuer hoch. Mnata wusste, dass er es ihr gleichtun
musste, um ihre Anerkennung nicht zu verlieren. In dieser Hinsicht war sie
schlimmer als alle Jungen seiner Horde gewesen waren, die darum wetteiferten,
mutige Krieger zu werden. Dieses Schicksal hatte sich auch seine Mutter für ihn
gewünscht, obwohl er nicht verstehen konnte, weshalb. Die Krieger hatten
furchteinflößend ausgesehen mit ihren von Narben zerfressenen Gesichtern.
Niemand von dem Gesinde war vor ihren Tritten, Schlägen oder Schwerthieben
sicher gewesen. Vlasta kannte solche Krieger nicht, wollte aber stets ihren Mut
unter Beweis stellen. Dabei war diese Kletterei völlig sinnlos. Sie konnten
auch eine Leiter nehmen, um von einem der Türme aus einen weiten Blick aufs
Umland zu bekommen. Es musste an der vielen freien Zeit liegen, die Vlasta zur
Verfügung stand. Ihre Mutter betraute sie kaum mit Aufgaben, sondern ermunterte
sie geradezu, herumzutollen und immer neue Abenteuer zu suchen.
    Mnata zog sich
langsam an den Steinen hoch. Anders als Vlasta konnte er die Furcht,
abzustürzen, nicht aus seinem Bewusstsein verbannen. Dieses Mädchen hatte vor
nichts Angst, vielleicht weil ihr noch nie im Leben etwas wirklich Schlimmes
zugestoßen war. Sie kannte die Welt außerhalb ihrer Siedlung nicht.
    Sie gelangten
beide sicher oben auf die Mauer und blickten über die zackigen Pfähle hinweg
auf Dörfer, Wiesen und Wälder herab. Der Fluss rauschte unter ihnen vorbei und
an seinem anderen Ufer erhoben sich die Türme einer weiteren Festung gen
Himmel. Chrasten, wie man ihm erzählt hatte.
    „Wenn ich älter
bin, dann nehme ich mir ein Pferd und ziehe durch die Gegend“, meinte Vlasta.
„Ich möchte so gern einmal sehen, was jenseits dieser Berge liegt.“
    „Dort liegen
weitere Berge, Wälder, Wiesen, Flüsse und Siedlungen“, meinte Mnata nur.
    Sie schubste
ihn leicht. „Du hältst dich wohl für ganz besonders schlau, weil du schon so
viel gesehen hast, nicht wahr? Aber du redest nie darüber.“
    Ihre Augen
sahen ihn erwartungsvoll an. Mnata senkte den Blick. Er hatte mit niemandem
über seine vergangenen Erlebnisse gesprochen, nicht einmal mit Libussa, jener
schönen, blonden Frau, die ihn vor all den hasserfüllten Blicken in Schutz
nehmen wollte, als sie ihn vor einer Götterfigur zu ihrem Sohn erklärte. Der
Mann an ihrer Seite versorgte ihn mit hölzernem Spielzeug und erzählte ihm
Geschichten. Mnata lebte unsicher von einem Tag zum anderen. Irgendwann musste
es wieder aufhören, dieses behütete Dasein, aber er wollte es genießen, solange
es anhielt. Er hatte Angst, die Vergangenheit durch Worte heraufzubeschwören,
denn dann hätte sie ihn einholen können. „Ich habe nichts Schönes zu erzählen“,
meinte er ausweichend zu Vlasta. „Woanders ist es nicht besser als hier.“
    Sie sah
enttäuscht aus. „Das klingt ja richtig langweilig. Vielleicht bist du nur ein
Pechvogel gewesen. Wenn ich erwachsen bin, dann erlebe ich sicher aufregende
Abenteuer da draußen.“
    Mnata musterte
sie ungläubig. Wie konnte ein Mensch so überzeugt von sich sein? „Es ist
gefährlich für eine Frau, allein

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