Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
beiden lächelten sich traurig an. Dann sah Gemma, dass es draußen stockdunkel war.
»Es ist spät«, meinte sie überrascht.
»Nach Mitternacht«, bestätigte Mallory.
»Du hättest nicht aufbleiben müssen.«
»Ich weiß. Du gehst jetzt besser ins Bett.«
Gemma nickte, stand auf und reckte sich.
»Ich bin gespannt, ob ich heute Nacht wieder von ihm träume«, meinte sie. Mallory sagte zwar nichts, aber ihr Blick sprach Bände.
»Sehr wahrscheinlich ist es nicht«, fuhr Gemma fort. »Ich bin jetzt seit über zwei Monaten wieder im Tal und habe erst dreimal von ihm geträumt.«
»Schlaf einfach etwas«, sagte Mallory. Die Sorge um ihre Freundin stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Und denk nicht an die Träume.«
»Zwei Nächte hintereinander wäre wirklich ein bisschen viel«, gab Gemma zu, doch schon während sie es aussprach, wünschte sie sich, ihn in dieser Nacht wiederzusehen. Das Gefühl hielt an, als sie sich bettfertig machte, und als sie zwischen die Laken glitt, ordneten sich ihre Gedanken zu vertrauten Mustern.
Sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass sie Arden niemals wieder in die Arme schließen würde, nie wieder mit ihm über die Existenz von Magie streiten, niemals über die verrücktesten Dinge lachen würde. Und am allerwenigsten wollte und konnte sie glauben, dass sie eines Tages nicht wieder beieinander liegen würden, wie sie es so viele Male hätten tun sollen - als Geliebte schließlich, aber auch als Freunde.
Die Nächte waren am schlimmsten. So viele hatten sie gemeinsam, wenn auch unschuldig, verbracht. Sie vermisste die Wärme in seiner Nähe, sein Gesicht im Schlaf, die sanfte Berührung seiner Hand, wenn sie schlecht geträumt hatte.
All dies, und noch viel mehr, wollte sie einfach nicht vergessen. Sie fühlte sich so einsam ohne ihn - seit ihrer erzwungenen Trennung war die Stärke ihrer Empfindungen noch deutlicher geworden. Arden war ihre große Liebe, und sie weigerte sich, ihn gehen zu lassen.
Gemma ging also mit der vertrauten Mischung aus freudiger Erwartung und Angst schlafen. Doch als sie am nächsten Morgen erwachte, konnte sie sich an keinen Traum erinnern.
Auch die Zeit linderte nicht den Schmerz, den Ardens Abwesenheit erzeugte. Vielmehr lernte sie, sein Bild irgendwo tief in ihrem Innern zu vergraben, wo sie es, wenn sie alleine war, hervorholen und betrachten konnte. Diese Augenblicke waren viel zu schmerzlich, als dass sie sie mit irgendjemandem hätte teilen können. Nicht einmal mit Mallory, die ihn ebenfalls liebte.
Gelegentlich konnte sie über irgendeine merkwürdige Begebenheit lachen, und das machte alles ein wenig leichter. Aber es hinterließ auch ein Gefühl der Bitterkeit, da sie es nicht mit ihm teilen konnte. Und doch machte das Leben im Tal ohne Zweifel vieles wieder wett. Gemma konnte sich keinen angenehmeren Ort in diesem seltsamen Land im Süden vorstellen. Die Schönheit und der Frieden, vor der Dürre bezeichnend für das Tal, kehrten jetzt, mit dem Übergang von Frühling zu den ersten Sommertagen, in voller Blüte zurück. Überall frohlockte die Natur, und auch wenn das allein sie noch nicht glücklich machte, so sprang doch ein wenig dieser Freude auf ihr Wesen über und hob ihre Stimmung.
Während dieser Zeit lernte Gemma auch die heitere Atmosphäre des Tales schätzen, das vom Rest der Welt entrückt zu sein schien - es war eine selbstgenügsame Welt, die Einflüsse von außen weder brauchte noch suchte. Das Tal wurde nur selten besucht, war außer bei den engsten Nachbarn so gut wie unbekannt, und die Menschen konnten es nicht verlassen, ohne dass ihre Gesundheit litt. Doch die Abgeschiedenheit ihrer neuen Heimat wurde ihr nachdrücklich bewusst, weil sie während ihres Aufenthalts nie den Sirenengesang aus dem tiefen Süden hörte - jenen unheimlichen Impuls, halb Geräusch, halb Empfindung, dem zu misstrauen sie gelernt hatte. Auf irgendeine Weise schien das Tal sie vor diesem zerstörerischen Einfluss zu schützen, und sie war dankbar für die Ruhepause, in der sie Zukunftspläne schmieden konnte. Arden würde bestimmt ins Tal zurückkehren, wenn er konnte, und sie wusste keinen besseren Ort, um auf ihn zu warten.
Und dann die Menschen. Jetzt, da das Tal wieder gesundet war, traten ihre besonderen Fähigkeiten überaus deutlich zutage. Sie wurden fast nie krank und erreichten ein Alter, das Gemma fast unglaublich fand. Einhundert Jahre alt zu werden war vor der Dürre nichts Ungewöhnliches, und selbst die ganz Alten unter
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