Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
ihr Blickfeld schoben.
Und inmitten all dessen der kostbare Blick auf Arden. Er wirkte abwechselnd ruhig, dann wieder besorgt, lächelte, war voller Angst. Jedes Bild war von Schmerz begleitet, doch die ständig wechselnden Strukturen ihrer Träume betäubten diesen Schmerz und machten ihn für Gemma erträglich.
Beim Aufwachen klebten ihr die Kleider auf der schweißnassen Haut. Im fahlen Licht der Dämmerung erkannte sie elf schwarze Augenpaare, die sie musterten, und in jedem erblickte sie ein Spiegelbild des Traumes.
Der riesige Bau, sagte Ul ehrfurchtsvoll. Wir haben ihn gesehen!
Und die singende Luft, fügte Ox ebenso ehrfürchtig hinzu.
Wir werden tun, was immer du verlangst, sagte Av.
Aber was verlange ich denn? fragte Gemma verschlafen und verwirrt. Gemischte Gefühle stiegen in ihr auf.
Die Wanderer werden den Riesenbau für dich finden, erklärte Ox geduldig.
Bei jeder Erneuerung hat der Clan davon gesprochen, meinte Ul. Jetzt werden wir ihn zu Gesicht bekommen.
Die Meyrkats hatten sich in einen Zustand heller Aufregung versetzt, und Gemma sah, dass sie glaubten, sie hätte ihnen eine Aufgabe gegeben, die ihnen die Trennung sehr erleichtern würde. Offenbar hatte ihr Traum das Erinnerungsvermögen des Clans ausgelöst und einen uralten Mythos von einem Riesenbau - oder den unterirdischen Höhlen - zum Leben erweckt. Jetzt würden die Wanderer zu echten Entdeckern werden - in Gemmas Namen. Sie waren offensichtlich so versessen darauf, loszuschlagen, dass ihr Drängen zum Aufbruch sie sogar ein wenig kränkte. Doch schon bald steckte ihre Aufregung Gemma an. Als die Zeit zum Abschiednehmen kam, fiel es ihr schwer, die richtigen Worte zu finden.
Unser Clan wird kleiner sein ohne dich, meinte Ox zu ihr.
Ich ... ich werde euch vermissen, gestand Gemma. Ich weiß gar nicht, wie ich euch für alles danken soll.
Dankbarkeit war ein Begriff, den die Meyrkats nicht völlig verstanden, trotzdem spürten sie recht gut, wie sie es meinte.
Wenn wir uns Wiedersehen, bemerkte Ed, werden wir ein paar Späße für dich gelernt haben.
Das wäre nett, erwiderte sie lächelnd.
Viel mehr blieb nicht zu sagen. Ein kurzer Gesang, in dem sich der Kummer über die Trennung mit Abenteuerlust mischte, trieb Gemma die Tränen in die Augen. Dann waren die Meyrkats in einem Durcheinander aus Abschiedsworten verschwunden.
Gemma setzte sich und weinte, als sie den fürchterlichen Trennungsschmerz verspürte. Sie weinte über die Traurigkeit des Abschiednehmens, über das Glück, ein neues Ziel zu haben, aber am allermeisten beweinte sie den Verlust ihrer Kameradschaft. Er hinterließ eine große Leere in ihrem Innern.
Schließlich stand sie auf, sammelte ihre paar Sachen zusammen und richtete ihr Gesicht entschlossen in die aufgehende Sonne. Ihre Gedanken waren nach dem Abschied von den Meyrkats immer noch ein einziges Durcheinander, doch sie zwang sich, an das vor ihr liegende Ziel zu denken. Sie hatte bereits entschieden, welchen Pass sie als nächstes ausprobieren wollte, und sollte dieser nicht ins Tal führen, dann gab es immer noch einen nächsten. Und noch einen. Für Fehlschläge war in ihren Gedanken jetzt kein Platz.
Zwölf Tage später, nach unzähligen Meilen und mehreren falschen Richtungsangaben, überquerte Gemma mit dem Gefühl aufkommender Hoffnung den höchsten Punkt einer Erhebung und blickte hinab in ein weiteres Tal. In der Ferne entdeckte sie eine Frau, die auf einem Felsbrocken saß. Noch während sie hinsah, stand diese Frau auf, hob den Kopf und blickte in ihre Richtung. In diesem Augenblick wusste Gemma, dass sie am Ziel war. Vor Erschöpfung stolpernd rannte sie den Hügel hinunter, während die andere ihren Namen rief und ihr entgegengelaufen kam. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Ihre Wanderung war zu Ende, wenigstens fürs erste. Gemma lief weiter, stolperte ...
... und landete in Mallorys ausgebreiteten Armen.
12 . KAPITEL
Als die letzten Erinnerungen an ihre Reise verblasst waren, musste Gemma voller Traurigkeit daran denken, dass ihre Freude über das Erreichen des Tales nicht sehr lange vorgehalten hatte. Sie hatte sofort nach Arden gefragt, doch Mallorys Gesichtsausdruck verriet, dass sie keine gute Nachricht hatte. Jetzt öffnete Gemma die Augen und sah zu Mallory auf der anderen Seite der Küche hinüber. »Ich dachte, du hättest geschlafen.«
»Nein, nur nachgedacht«, antwortete Gemma sanft.
»Du denkst zuviel nach. Worüber, brauche ich wohl nicht zu fragen, oder?«
Die
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