Die träumende Welt 03 - Das Zeitalter des Chaos
warum sein Leben für eine Auseinandersetzung vergeudet worden war, die nichts mit dem Tal zu tun hatte. Seine früheren Reisen hätten wenigstens noch einen Grund gehabt, meinten sie. Er hatte geholfen, den Fluss zurückzuholen. Doch das hier ergab keinen Sinn.
Schroffe und unversöhnliche Worte mischten sich unter ihre Tränen, und Gemma konnte nichts sagen, was ihnen Trost gespendet hätte. Sie wusste, dass sie selbst keine Schuld an Ashlins Tod traf, erkannte aber auch, wie dies in den Augen seiner Familie aussehen musste. Zum Glück hatte Arden sie nicht begleitet. Die Vorwürfe hätten ihn verärgert, und er hätte sie zu energisch in Schutz genommen - mit möglicherweise katastrophalen Folgen. Schon jetzt war sie völlig am Boden zerstört, als sie ihr Haus verließ - und freute sich, als sie sah, wie Kris ihr entgegenkam. Wenn irgendjemand helfen konnte, dann er.
Gemma winkte, als der verkrüppelte Mann sich scheinbar ziellos und doch unaufhaltsam dem Haus näherte. Kris erwiderte ihren Gruß. Gemma hätte gerne mit ihm gesprochen, aber er blieb nicht stehen.
Sie brauchen ihn mehr als ich, dachte sie traurig, und ging weiter. Es kam ihr nicht in den Sinn, sich über sein pünktliches Eintreffen zu wundem.
Sie fand Arden am Flussufer sitzend, zusammen mit Vance und Jon. Das Wasser floss noch immer kräftig.
»Da ist einer! Da drüben!« rief Jon aufgeregt, als sie näherkam. Gemma lief zu ihnen und sah einen Fisch unter der Oberfläche glänzen.
Arden schaute zu ihr hoch und sah den Schmerz, der sich hinter ihrem Lächeln verbarg.
»Alles in Ordnung?« erkundigte er sich freundlich.
Sie nickte, ergriff seine Hand und drückte sie fest.
Arden zog sie zu sich und gab ihr einen Kuss.
»Du hättest mich mitkommen lassen sollen«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Nein. Das musste ich alleine machen. Außerdem ist Kris jetzt bei ihnen.«
»Gut. Wir werden später darüber reden.«
Gemma spürte, wie ihr die Farbe in die Wangen stieg, als sie bemerkte, wie die Jungs sie mit wachsender Neugier ansahen. Arden ließ sie feixend los.
»Vance, hast du mir nicht erzählt, es gäbe hier junge Füchse?« fragte Arden.
Der Junge nickte. »Im Wald«, antwortete er, den Blick noch immer auf Gemma geheftet. »Wahrscheinlich sind sie inzwischen ziemlich groß geworden«, fügte er unsicher hinzu.
»Ich würde sie trotzdem gerne sehen«, meinte Gemma und tat so interessiert wie möglich. »Zeigst du sie mir?«
Als die Expedition auf brach, waren die Jungs wieder ganz die Lebendigkeit selbst. Gemma und Arden folgten ihnen etwas langsamer, freuten sich über ihre Mätzchen und genossen es, zusammen zu sein, noch dazu an einem solch wunderbaren Ort. Er nahm ihre Hand, und sie lächelte glücklich. Kris traf bei Kragens Farmhaus an jenem Abend rechtzeitig ein, um ihnen beim Essen Gesellschaft zu leisten. Für den Fall eines unerwarteten Besuchs von ihm hielt jedes Haus im Tal immer einen zusätzlichen Platz am Tisch und ein Bett bereit. Obwohl er nicht größer war als ein Kind und sein Rückgrat und seine Glieder stark verkrümmt waren, hatte er nichts Trauriges an sich. Er verbreitete ein Gefühl der Wärme und des Glücks bei den Menschen, mit denen er zusammen war. Dies war auch der Grund, zusammen mit seiner Fähigkeit, dass er Visionen erzeugen konnte und gelegentlich die Zukunft vorhersagte, weshalb man ihn so schätzte.
Nach dem Essen gelang es Gemma, mit ihm und Mallory alleine zu sprechen. Kris kannte bereits den größten Teil ihrer Geschichte, doch sie wollte ihm ein paar gezielte Fragen stellen. Kris konnte nicht sprechen und verständigte sich über Handzeichen mit den Menschen aus dem Tal, die Mallory für Gemma, falls nötig, übersetzen konnte. Doch bevor Gemma beginnen konnte, beugte sich Kris auf seinem Stuhl nach vom und ergriff ihre beiden Hände. Sie spürte, wie eine Woge der Freude sie überkam - so intensiv, dass sie fast aufgeschrien hätte. Bilder einer Gruppe von Menschen, die sich zu einer Feier versammelt hatten, füllten ihren Kopf. Unter ihnen befanden sich - glücklich lächelnd - Ashlins Eltern. Kris zeigte ihr, dass sie Gemma in Zukunft vergeben würden.
Gemma blickte in seine seltsamen Augen, die wie Schlitze waren, und bedankte sich stumm bei ihm. Kein Wunder, dass sie dich so lieben, dachte sie. Kris zog seine Hände zurück und lehnte sich entspannt zurück. Kragen stand plötzlich neben ihm und reichte zunächst ihm, dann auch den beiden Frauen ein Glas Wein.
»Keine Sorge«,
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