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Die Träumerin von Ostende

Die Träumerin von Ostende

Titel: Die Träumerin von Ostende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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Kongo geboren, dem Kleinod des belgischen Kolonialreiches. Mein Vater war dorthin gekommen, die weiße Bourgeoisie von Kinshasa in Literatur zu unterrichten. In den Salons der feinen Gesellschaft hatte er eine wohlhabende junge Frau kennengelernt, sich in sie verliebt, und obgleich nicht vermögend, sondern nur kultiviert, war es ihm gelungen, sie zu heiraten. Als ich auf die Welt kam, musste meine Mutter diese Welt verlassen, sie starb im Kindbett. Alles, was ich von ihr kannte, war ein sepiafarbenes Foto auf dem Klavier, auf dem sie gespielt hatte und das fortan in majestätischem Schweigen verschlossen bleib, ein zu rasch verblichenes Foto, auf dem ich als junges Mädchen nur noch ein elegantes, kreidebleiches Phantom erkannte. Das andere Phantom meiner Kindheit war mein Vater: Entweder machte er mich für den Tod seiner Frau verantwortlich, oder aber er mochte mich nicht, jedenfalls schenkte er mir weder Beachtung, noch war er je anwesend. Durch die Mitgift meiner Mutter zu Reichtum gelangt, gab er sein Geld für Bücher aus, Tausende von Büchern, um sich mit ihnen in unserer Bibliothek einzuschließen, die er nur verließ, um zu unterrichten.
    Natürlich empfand ich, wie jedes Kind, meinen Alltag als normal. Auch wenn ich meine Freundinnen hin und wieder um ihre Mütter beneidete, hielt ich mich nicht für unglücklich, denn ich war umgeben von Ammen mit vollen Stimmen und wiegendem Gang, von fröhlichen Dienerinnen, die mir mitfühlende Zuneigung entgegenbrachten. Und was meinen Vater anging, so machten ihn seine Einsamkeit und seine Gleichgültigkeit mir gegenüber nur noch anziehender für mich. Alle Anstrengungen, die ich in dieser Zeit unternahm, geschahen einzig in der einen Absicht, ihm näherzukommen, ihn zu erreichen.
    Ich beschloss, Bücher so zärtlich zu lieben wie er. Anfangs fragte ich mich beim Lesen, welches Vergnügen ihm wohl die Kopfschmerzen bereiten konnten, die er sich mit diesen winzigen schwarzen Zeilen selbst zufügte – ich muss allerdings gestehen, dass ich mit einem fünfzehnbändigen Werk zur römischen Geschichte begonnen hatte –, anschließend stieß ich durch Zufall auf die Romane von Alexandre Dumas, begeisterte mich für Athos, Aramis, d’Artagnan und entwickelte mich zu der Leserin, die zu sein ich anfangs nur vorgegeben hatte. Nach einigen Jahren, als mein Vater bestätigt fand, dass ich Woche für Woche Tausende von Seiten verschlang, zeigte er hin und wieder mit dem Finger auf die eine oder andere Textstelle, während er mit müder Stimme sagte: ›Schau, das da solltest du lesen‹. Ich stürzte mich daraufhin so dankbar auf den Text, als hätte er mir zugerufen: ›Ich liebe dich‹.
    Ich war zwölf, als mir auffiel, dass sich mein Vater, nachdem er sich vergewissert hatte, dass ich im Bett lag, hin und wieder abends, als er unmöglich noch Unterricht geben konnte, davonstahl. Wohin ging er? Wo war er gewesen, wenn er ein, zwei Stunden später, zufrieden, fast heiter, manchmal auch ein Liedchen trällernd, zurückkam? Ich begann, mir vorzustellen, wie er mit einer Frau flirtete, die womöglich eines Tages meine zweite Mutter würde.
    Ich war nicht weit von der Wahrheit entfernt. Bald sollte ich entdecken, dass er eine ganze Armee von Müttern für mich gefunden hatte. Ein Frauenbataillon, dem ich bald freundschaftlich verbunden sein sollte … Aber ich bin zu schnell, lassen Sie es mich Ihnen erklären.
    Eines Tages, er hatte sich aus dem Strauß im Esszimmer gerade eine Blume genommen und ins Knopfloch seines neuen Anzugs gesteckt, folgte ich ihm heimlich. Ich konnte es kaum glauben, als ich sah, dass er nur gut hundert Meter weiter in unserer Straße um die Ecke bog und in der Villa Violette verschwand.
    Ich bat die Hausmädchen inständig, mir zu verraten, wer dort wohnte. Sie brachen in schallendes Gelächter aus und weigerten sich zu antworten, doch ich ließ ihnen keine Ruhe, und so verrieten sie mir schließlich, dass dort ein Freudenhaus sei.
    Zum Glück wusste ich durch Maupassant, einen meiner Lieblingsautoren, von der Existenz dieser Etablissements, in denen Frauen Männern gegen Geld Lust verschafften; oder besser, da Maupassant über die Prostituierten und ihr Tun nicht moralisch richtete und sie in
Fettkugel
oder
Das Haus Tellier
so menschlich darstellte, fehlte es mir nicht an Achtung ihnen gegenüber. Und dass diese Geschöpfe die Feder dieses Genies inspiriert hatten, adelte, ja, heiligte sie sogar in meinen Augen.
    In dieser Geistesverfassung

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