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Die Trasse von A'hi-nur

Die Trasse von A'hi-nur

Titel: Die Trasse von A'hi-nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Wüten. Unerhört komisch kam mir die ganze Situation vor, Inges Ausdrucksweise, ihre mir völlig neue Unbeherrschtheit, das Mißverständnis überhaupt – und gleichzeitig erbosten mich die Vorwürfe maßlos.
    »Da stehst du und sagst kein Wort!« fuhr sie in ihrer Tirade fort. »Was sollst du aber auch sagen! So eine große Sache, und du hast keinen Sinn dafür! Schön, deine Sache, mag sein, daß es so etwas gibt. Aber das verzeihe ich dir nicht, daß du erst große Begeisterung spielst, Verbrüderung mit allem Drum und Dran, und einen Tag später trägst du schon wieder dein arrogantes Desinteresse offen zur Schau – das ist würdelos, das tut mir weh, und nicht nur mir! Denk an Achmed!«
    Jetzt war kein Schluchzen mehr in ihrer Stimme, sondern nur noch gerechter Zorn, und, es tut mir leid, das wirkte noch komischer auf mich. Ich mußte ein Lachen unterdrücken, aber das erstarb mir sowieso in der Kehle, denn in diesem Augenblick, wo ich ihr schönes, zorniges Gesicht im Mondschein sah – ich muß die Wahrheit gestehen. In diesem Augenblick erkannte ich, was wirklich die ganze Zeit zuvor mit mir losgewesen war. Ich erkannte, daß ich mich – wer weiß wann? – in sie verliebt hatte.
    In Sekundenschnelle zogen alle Situationen der letzten Tage noch einmal vor meinem inneren Auge vorbei, ich verstand alle meine seltsamen und unausgeglichenen Haltungen jetzt richtig, ich war verliebt gewesen, eifersüchtig, deprimiert bei Mißstimmungen, und das alles, ohne es zu wissen!
    Aber wie sollte ich Inge diesen Wirrwarr erklären? Und das Mißverständnis über meine heutige Geistesabwesenheit? Es schien mir völlig unmöglich, mich verständlich zu machen. Wer würde mir denn so etwas abnehmen! Am allerwenigsten Inge in ihrer augenblicklichen Erregung! Vielleicht hielten mich auch meine schlechten Erfahrungen auf diesem Gebiet davon ab, einer Frau etwas auszureden, wovon sie gefühlsmäßig überzeugt war.
    Durch den Sturzbach meiner Gedanken drangen nun wieder Inges Worte. Sie hatte sich inzwischen aufs Bitten verlegt.
    »Wenn es dir schon ganz unmöglich ist, die Begeisterung aufzubringen, die wir alle fühlen, dann mach wenigstens mit! Tu uns den Gefallen, mir und vor allem Achmed!«
    Ja natürlich, Achmed. Ich war ihr nicht böse. Mir kam nicht einmal der Gedanke, daß ich es sein könnte; ich hatte ja nicht das geringste Recht dazu. Wenn ich ein Mädchen gewesen wäre, ich hätte mich auch für Achmed entschieden, das war mir klar. Nur eins war mir leider damals nicht klar: daß ich kein Mädchen war und also auch nicht empfinden konnte wie ein Mädchen. Ich sah Inges kleines Mißverständnis, mich betreffend, und sah nicht mein großes Mißverständnis, Inge betreffend. Und, leider, verhielt ich mich konsequent danach.
    Ich hätte ja einfach sagen können: Du irrst dich, es ist alles ganz anders, ich bin wirklich Feuer und Flamme für diese Sache, ich habe nichts geheuchelt, paß auf, und du wirst sehen.
    Aber wer sagt schon immer das Einfache und Natürliche? Ich glaubte, alles zu verstehen, aber nicht mit Verständnis rechnen zu können, und verschloß mich.
    »Du kannst ganz ruhig sein«, sagte ich, »ich habe bisher meine Pflichten nicht vernachlässigt und werde das auch künftig nicht tun.«
    »Ich hätte nie gedacht«, sagte Inge, »daß du so öde bist wie – wie der Haufen Sand, der uns umgibt!«
    Sie sagte das mit soviel Traurigkeit in der Stimme, daß ich unbedingt hätte stutzig werden müssen, wenn mir nicht bei den Worten »Haufen Sand« plötzlich, in diesem völlig unpassenden Augenblick, eingefallen wäre, worüber ich den ganzen Nachmittag gegrübelt hatte. Einen Haufen Sand hatte ich gesehen, einen etwa drei Meter hohen Sandkegel an der Felswand, der da nicht hingehörte, der von der Explosionswelle hätte weggefegt werden müssen und doch, allen Berechnungen zum Trotz, da stand!
    »Mensch!« sagte ich zu ihr, ließ sie stehen und lief ins Zelt. Sie kam hinterher, und während ich schon Papier und Stift in die Hand nahm, sagte sie: »Sei nicht böse, so schlimm habe ich’s nicht gemeint.«
    »Ja ja, ich weiß!« antwortete ich zerstreut und fing an zu rechnen. Da warf sie trotzig den Kopf zurück, daß die Haare flogen, und ging. Ich nahm es kaum wahr. Ich rechnete.

Der Stollen
    Ich hatte am Abend gerechnet, war aber zu keinem Ergebnis gekommen, weil mir die genauen Maße des Sandhaufens fehlten. Aber ein Ergebnis hatte die Rechnerei doch: Ich wurde müde dabei, so müde, daß ich mit der

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